Unsere Forderungen

Wir fordern Politik, Ärzt*innenschaft und Gesellschaft auf, sich aktiv für die Überwindung bestehender Hürden und Zugangsbarrieren im Bereich der reproduktiven Gesundheit einzusetzen. Momentan fokussieren wir uns vor allem auf den Schwangerschaftsabbruch. In diesem Bereich bestehen in Deutschland besonders viele Zugangsbarrieren, welche die psychische und physische Gesundheit unzähliger Menschen unnötig gefährden. 

Für weitere Themenbereiche (z.B. selbstbestimmte Geburt, Eileiterschwangerschaft, Fehlgeburt, Reproduktionsmedizin) müssen wir abwarten, ob sich entsprechende Arbeitsgruppen unter unserem Dach bilden und gemeinsame Positionen zu diesen Themen entwickelt werden.

Unsere Forderungen zur Prävention und Abbruch von Schwangerschaften ergeben sich aus den bestehenden Missständen. Wir haben diese in drei Teile gegliedert: Recht, Praxis und Diskurs.

Recht

Problem:

Das deutsche Abtreibungsrecht ist im europäischen Vergleich rückständig. Denn hier steht der Schwangerschaftsabbruch immer noch im Strafgesetzbuch. Im Abschnitt Straftaten gegen das Leben (§§ 211 – 222) findet sich neben Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen unter § 218 der Schwangerschaftsabbruch und § 219 die Beratung einer Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage.
Die Strafandrohungen verstärken die Stigmatisierung und Tabuisierung des Schwangerschaftsabbruches in unserer Gesellschaft und verhindern einen offenen und medizinisch fundierten Diskurs über Sexualität und Fortpflanzung. Sie erschweren die Thematisierung in der medizinischen Ausbildung. 
Die dogmatisch fragwürdige Konstruktion des Straftatbestandes, der ein Verhalten als Straftat gegen das Leben für rechtswidrig erklärt und es gleichwohl teilweise straffrei stellt, ist selbst für Jurist*innen schwer verständlich. Bei Nicht-Jurist*innen und Ärzt*innen sorgt sie für Verunsicherung. Die Bereitschaft von Ärzt*innen, Abbrüche durchzuführen, bei denen sie in Unkenntnis der genauen Regelung strafrechtliche Konsequenzen befürchten und die im Rahmen ihrer Ausbildung nicht erlernt wurden, ist denklogisch gering.
Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist auch der Grund, weshalb die Kosten für den Abbruch grundsätzlich nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Bei ungewollt Schwangeren erzeugt die strafrechtliche Regelung Gefühle von Angst, Scham, schlechtem Gewissen und gefährdet nachweislich deren psychische Gesundheit. Der Zusammenhang zwischen restriktiven Abtreibungsgesetzen und einer erhöhten Gesundheitsgefährdung ungewollt Schwangerer ist hinreichend bekannt.

Im Strafgesetz sind Voraussetzungen formuliert und Taten aufgeführt, für die Bürger*innen vom Staat bestraft werden können. Beim Schwangerschaftsabbruch hingegen handelt es sich um einen medizinischen Eingriff, dessen Zugänglichkeit Menschenleben rettet und die Müttersterblichkeit drastisch senkt. 

Forderung: 

Im Einklang mit den Forderungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Frauenrechtskonvention der UN (CEDAW) fordern wir: 
Der Schwangerschaftsabbruch darf kein Strafbestand sein, sondern er muss eine öffentliche Gesundheitsleistung werden. Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch sind außerhalb des Strafgesetzes möglich, beispielsweise in Sozialgesetzbüchern oder innerhalb der für den Gesundheitsbereich geltenden Rechtsordnungen.
Wir fordern die Abschaffung der verpflichtenden Beratungen und Wartezeiten , da sie Zugangshürden darstellen und medizinische Abläufe unnötig verzögern können. Beratungen können ihre helfende Wirkung nur dann entfalten, wenn sie auf freiwilliger Basis ablaufen. Ein flächendeckendes, niedrigschwelliges, wertneutrales und interkulturelles Beratungsangebot ist daher unbedingt notwendig.  

Problem: 

Gesundheitspersonal darf nach § 12 Schwangerschaftskonfliktgesetz die Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch verweigern. Eine solches, explizit formuliertes Verweigerungsrecht ist in anderen Bereichen der Medizin unüblich und problematisch in Hinblick auf die Qualität der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sowie des medizinischen Angebots zum Schwangerschaftsabbruch; in vielen Regionen Deutschlands bestehen bereits besorgniserregende Versorgungslücken. Problematisch ist insbesondere auch die Verweigerung ganzer Krankenhäuser wegen moralischer und v.a. religiöser Bedenken des Krankenhausträgers oder des Chefarztes/der Chefärztin.

Forderung: 

Wir fordern die Streichung des § 12 Schwangerschaftskonfliktgesetz. Wie in anderen Bereichen der Medizin auch, sollen Ärzt*innen eine Behandlung, die für die Gesundheit ihrer Patient*innen notwendig ist, für die sie ausgebildet wurden und die nur sie durchführen dürfen, nicht aus Gründen der persönlichen Moral ablehnen dürfen. Insbesondere Kliniken, die öffentliche Gelder erhalten, sollten Schwangerschaftsabbrüche durchführen und sich damit ihrer Verantwortung stellen, den Versorgungsauftrag der Länder sicherzustellen.  Moralische Bedenken einzelner (Chef-)Ärzt*innen oder Krankenhausträger dürfen die Gesundheit von ungewollt Schwangeren, die im Einzugsgebiet dieser Kliniken wohnen, nicht gefährden.

Problem: 

Für die Bestellung der Medikamente für den Schwangerschaftsabbruch gilt der sogenannte Sondervertriebsweg, der in § 47a Arzneimittelgesetz geregelt wird.  Die Medikamente werden nicht auf dem üblichen Vertriebsweg (Hersteller – Großhandel – Apotheke) geliefert, sondern direkt vom Hersteller an die Einrichtungen abgegeben wird, die den Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Damit können Ärzt*innen diese Medikamente also nicht wie alle anderen verschreibungspflichtigen Medikamente als Kassenrezept verschreiben. 

Zudem müssen sie dafür in Vorkasse gehen, die Medikamente “sicher” lagern, über jede einzelne ausgegebene Tablette Buch führen und dieses Daten 5 Jahre aufbewahren. Diese Bestimmungen stellen eine bürokratische Hürde dar, die medizinisch vollkommen unnötig und nicht gerechtfertigt ist. 

Forderung: 

Medikamente für den Schwangerschaftsabbruch sind verschreibungspflichtige Medikamente und kann auch so behandelt werden. Wir fordern daher die Streichung des § 47a Arzneimittelgesetz. Dies würde viele der Hürden in der Zugangsbeschaffung der Medikamente minimieren und könnte damit die Bereitschaft von v.a. niedergelassenen Ärzt*innen erhöhen, die medikamentöse Methode in ihrer Praxis anzubieten. Die Medikamente für den Schwangerschaftsabbruch könnten dann einfach als Kassenrezept verschrieben werden.

Problem: 

Mit der aktuellen Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch verletzt
Deutschland internationale Menschenrechtsverpflichtungen: Das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) beinhaltet auch Vorgaben zum Schwangerschaftsabbruch als Teil von reproduktiver und sexueller Gesundheit. Dabei werden die Mitgliedsstaaten zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches und der Abschaffung von verpflichtenden Wartezeiten und Beratungen aufgerufen. Schwangerschaftsabbrüche sollen als reguläre reproduktive Gesundheitsleistung angesehen werden. Ein gültiges Menschenrecht auf einen sicheren und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen wurde zudem im UN-Menschenrechtsausschuss 2018 sowie im EU-Parlament (sog. Matić-Bericht) 2021 erneut bekräftigt. Das aktuelle Abtreibungsrecht verstößt auch gegen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der aktualisierten Richtlinie von 2022 finden sich klare Handlungsempfehlungen zur Umsetzung 

Weil die Sicherstellung dieser Rechte in Deutschland allerdings immer noch nicht gewährleistet wird, wurde Deutschland schon mehrfach von Menschenrechtsorganisationen gerügt.

Forderung: 

Wir fordern, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte in Deutschland sicherzustellen. Deutschland sollte dafür das internationale Menschenrecht auf legale und sichere Abtreibung anerkennen und damit seine Verpflichtungen als EU-  und CEDAW-Mitglied wahrnehmen. Wir fordern zudem die in der WHO-Richtlinie verfassten evidenzbasierten Handlungsempfehlungen zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland in Recht und Praxis umzusetzen.

Der Schwangerschaftsabbruch sollte im Kontext von sexueller und reproduktiver Gesundheit als Bestandteil der Menschenrechte eingeordnet werden. Neben der endgültigen Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gilt es medizinisch nicht indizierte Zugangsbarrieren wie die verpflichtende Wartezeiten und Pflichtberatung abzuschaffen. Weitere Empfehlungen betreffen beispielsweise den Einbezug von Pflegekräften und Hebammen in die Versorgung, eine umfassende medizinische Aus- und Weiterbildung zum Schwangerschaftsabbruch sowie das Angebot der telemedizinischen Begleitung.

Praxis

Problem: 

Die Sexual- und Verhütungsaufklärung in Schulen ist häufig unzureichend und/oder einseitig. An manchen Schulen werden im Religionsunterricht sogar religiös-fundamentalistische Inhalte vermittelt, die den Schwangerschaftsabbruch ausschließlich von einer moralisierenden Seite thematisieren. Dabei ist das Verständnis des eigenes Körpers, der eigenen Sexualität und der unterschiedlichen Verhütungsmethoden gerade für Jugendliche essentiell.

Aber auch außerhalb der Schule gibt es zu wenige Möglichkeiten für eine ausreichende Aufklärung. Seriöse Informationen zu den verschiedenen Methoden der Schwangerschaftsverhütung sind im deutschsprachigen Internet schwer zu finden. Dabei betrifft das Thema tagtäglich unzählige Menschen. Die „Pille“ ist das meistverschriebene Medikament unter jungen Frauen in Deutschland. 

Manche Menschen sind sich sicher, dass sie keine Kinder (mehr) haben möchten. Einige von ihnen würden gerne die endgültige Verhütungsmethode der Sterilisation wählen. Für Menschen unter 30, insbesondere Frauen, ist es jedoch häufig extrem schwierig, dafür ärztliche Hilfe zu erhalten, da viele Ärzt*innen den Eingriff verweigern.

Verhütungsmittel werden zudem nur bis zum 22. Lebensjahr von der Krankenkasse erstattet. Insbesondere für Niedrigverdiener*innen stellen die Kosten für Verhütung eine Zugangshürde dar.

Forderung: 

Aus unserer täglichen Praxis wissen wir: Ein großer Teil der ungewollten Schwangerschaften tritt trotz der Verwendung von Verhütungsmitteln auf. Und dennoch: Die Investition in eine bessere Sexual- und Verhütungsaufklärung könnte helfen, die Zahl der ungewollten Schwangerschaften zu reduzieren. 

Eine umfassende, weltanschaulich neutrale und gendergerechte Aufklärung zu Themen der Sexualkunde und Verhütung muss flächendeckend an Schulen gewährleistet werden. Das Thema Schwangerschaftsabbruch sollte dabei nicht ausgespart werden. Dabei sollte die Gesundheit der Betroffenen stets im Vordergrund stehen, nicht religiös-moralische Überzeugungen.

Verhütungsmittel müssen unabhängig vom Alter eine Kassenleistung werden. Die Sterilisation als endgültige Verhütungsmethode sollte für alle entschiedenen und informierten Personen – unabhängig vom Geschlecht – zur Verfügung stehen. Eine ausführliche ärztliche Aufklärung über Vor- und Nachteile der verschiedenen Verhütungsmethoden muss ausreichend von den gesetzlichen Krankenkassen entlohnt werden. 

Problem: 

Auch nach der Abschaffung des § 219a StGB (sog. „Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche“) gibt es bisher nicht ausreichende, medizinisch korrekte und wertfreie Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. Es gibt auch Webseiten, die von Abtreibungsgegner*innen betrieben werden und bewusst Falschinformationen und Abtreibungsmythen verbreiten. Da diese Webseiten teilweise auf ein „neutrales“ erstes Erscheinungsbild achten, ist es für  Personen ohne Vorwissen dadurch teilweise sehr schwer zu unterscheiden, welche Webseiten nun die korrekten Informationen enthalten. 

Auch einige staatlich nicht anerkannte Beratungsstellen präsentieren sich neutral, “beraten” dann aber tendenziös mit religiös-fundamentalistischer Motivation, ohne Beratungsscheine auszustellen. Manche dieser Beratungsstellen erhalten. sogar Gelder aus den Töpfen für die Schwangerschaftskonfliktberatung.

Auch die Suche nach Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist aktuell noch erschwert. Denn auch nach der Abschaffung des §219a StGB veröffentlichen nicht alle Ärzt*innen auf ihrer Webseite, dass sie Abbrüche durchführen, da sie sich u.a. vor den Diffamierungen durch Abtreibungsgegner*innen fürchten. Die Liste der Bundesärztekammer, die Adressen von Abbruchsärzt*innen bundesweit listet, stellt keine ausreichende Alternative da, da sie unübersichtlich ist und nur unvollständige Informationen enthält. 

Die wenigen guten Informationen sind häufig nur auf deutsch erhältlich. Der Informationsmangel betrifft Menschen, die Flucht- und Migrationserfahrungen gemacht haben oder deren Muttersprache nicht deutsch ist, daher besonders hart.

Forderung: 

Wir schließen uns den Forderungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Frauenrechtskonvention der UN (CEDAW) an: Sachliche Informationen zum Schwangerschaftsabbruch müssen Hilfesuchenden zugänglich gemacht werden. Ein gut zugängliches, mehrsprachiges, kostenloses Informationsangebot ist unerlässlich.

Bewusst abschreckende, irreführende und falsche Angaben zum Schwangerschaftsabbruch (durch Abtreibungsgegner*innen), können nach französischem Vorbild verboten werden.

Beratungsstellen, die nur eine allgemeine Schwangerenberatung durchführen und keine Beratungsscheine ausstellen, müssen dies kenntlich machen und sollten keine Förderung als Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle erhalten.

Problem: 

Die Kosten für den Abbruch nach Beratungsindikation werden nicht von den Krankenkassen übernommen. Bei geringem oder gar keinem Einkommen können die Kosten auf Antrag durch das jeweilige Bundesland, in dem die Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, übernommen werden. Dies muss vor dem Eingriff beantragt werden und ist je nach Bundesland und Krankenkasse sehr unterschiedlich.
Diese Regelung ist unübersichtlich, führt zu bürokratischem Mehraufwand für die schwangere Person und damit zum Verlust von wertvoller Zeit für die Einhaltung von Fristen. Diese Problematik zeigte sich vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie verstärkt, da Schwangere hier durch Home-Office und Kontaktvermeidung besondere Schwierigkeiten hatten, eine Kostenübernahme zu erhalten. Insbesondere für sozial schwache Personen und Personen, die kein deutsch sprechen oder geflüchtet sind, wird der Zugang durch die fehlende Kostenübernahme  erschwert.

Forderung: 

Der Schwangerschaftsabbruch sollte eine öffentliche Gesundheitsleistung werden. Währenddessen muss die Erlangung der Kostenübernahme standardisiert und vereinfacht werden. Verzögerungen durch das bisherige Antragsverfahren sind zu vermeiden.

Problem: 

Obwohl einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe, wird der Schwangerschaftsabbruch in unserem Medizinstudium an vielen Universitäten kaum oder nur in den Fächern Medizinethik (am Beispiel der Spätabbrüche) oder Medizinrecht thematisiert.

Der Schwangerschaftsabbruch ist auch kein Pflichtbestandteil der gynäkologischen fachärztlichen Weiterbildung. In der Muster-Weiterbildungsordnung wird die Vakuumaspiration – die Methode der Wahl für Fehlgeburten und Schwangerschaftsabbrüche – nicht genannt. Ebenso wird die medikamentöse Entleerung des schwangeren Uterus zur Behandlung von Fehlgeburten und ungewollten Schwangerschaften bis zur 9. SSW dort nicht erwähnt.

11,4 % der Abbrüche in Deutschland wurden 2021 immer noch mit der Kürettage (Ausschabung), einer von der WHO als veraltet und weniger sicher klassifizierten Methode, durchgeführt. (Quelle: Statistisches Bundesamt) Für Fehlgeburten ist ein mindestens genau so hoher Anteil anzunehmen. In sehr vielen Lehrkrankenhäusern werden gar keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Aus zahlreichen Berichten unserer Mitglieder wissen wir, dass Fehlgeburten in den Kliniken äußerst selten medikamentös behandelt werden. Dies bedeutet, dass frühe medikamentöse Abbrüche nur erlernt werden können, wenn Ärzt*innen gezielt einen Teil ihrer Weiterbildungszeit in einer Praxis absolvieren, in welcher medikamentöse Abbrüche durchgeführt werden.

Es geht jedoch nicht nur darum, die Technik zu erlernen. Auch ein wertfreier und respektvoller Umgang mit ungewollt Schwangeren vor, während und nach dem Eingriff sollte geübt werden. Hierbei spielen auch persönliche Vorbilder eine Rolle. Ärzt*innen, die den Schwangerschaftsabbruch während ihrer gesamten Weiterbildungszeit nicht als Teil des eigenes Faches kennen lernen und nie mit diesem Thema in Kontakt gekommen sind, werden diesen Eingriff in einer späteren Niederlassung sehr wahrscheinlich nicht anbieten.

Für diejenigen Ärzt*innen unter uns, die den Schwangerschaftsabbruch erlernen möchten, gibt es kaum Fortbildungsmöglichkeiten. Noch schwieriger gestaltet es sich für Ärzt*innen aus anderen Fachbereichen (z.B. Allgemeinmedizin). Diejenigen, die die Durchführung von Abbrüchen erlernt haben, müssen beispielsweise nach Holland gehen, um hierfür einen Nachweis zu erhalten.

Doctors for Choice hat jahrelang die Erstellung einer Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch gefordert. Diese Forderung wurde nun endlich mit der Erstellung einer S2K-Leitlinie Rechnung getragen. Eine konsensbasierte Leitlinie kann allerdings nur der erste Schritt zu einer evidenzbasierten S3-Leitlinie sein.

Forderung: 

Medizinische Aspekte (inkl. Ablauf, Nebenwirkungen und Kontraindikationen) des medikamentösen und chirurgischen Schwangerschaftsabbruches müssen in der Theorie verpflichtend im Medizinstudium gelehrt werden. Was so viele Menschen betrifft, muss uns Ärzt*innen ein Begriff sein. Für die emotionale, gesellschaftspolitische, rechtliche und ethische Auseinandersetzung in kleinen Gruppen sollte während des Studiums ausreichend Raum gegeben sein. 
Ebenso sollten hormonelle und nicht-hormonelle Verhütungsmethoden mit ihren Vor- und Nachteilen umfassend im Medizinstudium gelehrt werden. Denn die angehenden Ärzt*innen benötigen das Wissen in ihrer täglichen ärztlichen Praxis unabhängig von der Fachrichtung, die sie praktizieren. 

In der gynäkologischen Weiterbildung sollten Kenntnisse und Fertigkeiten zu Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbruch praktisch erlernt werden. Die Vakuumaspiration und der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch sollten explizit in die Muster-Weiterbildungsordnung aufgenommen werden.
Finanzielle Anreize in den Krankenhäusern könnten dazu führen, dass die Vakuumaspiration häufiger angewandt wird, bspw. indem diese Methode höher vergütet wird als die Kürettage.
Es ist wichtig, dass es in jedem Lehrkrankenhaus eine*n Ansprechpartner*in gibt, der oder die Schwangerschaftsabbrüche durchführt und Weiterbildungsassistent*innen ausbilden kann. Praxen und Krankenhäuser könnten z.B. durch finanzielle Anreize dazu motiviert werden, entsprechende Weiterbildungsrotationen anzubieten.

Insgesamt sollte es Ärzt*innen – unabhängig von ihrer Fachrichtung – möglich sein, Schwangerschaftsabbrüche zu erlernen. Wir fordern daher die Entwicklung von Fortbildungsmöglichkeiten, die zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen befähigen (durch z.B. eine Zusatzqualifikation wie in den Niederlanden). Diese sollten für alle Ärzt*innen, unabhängig von ihrer Fachrichtung, offen stehen und ihnen dadurch ermöglichen, Schwangerschaftsabbrüche anbieten zu dürfen. Dafür liegen uns genug Erfahrungen aus anderen Ländern vor. Fortbildungen zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch – insbesondere für Allgemeinmediziner*innen – sollten in allen Bundesländern gefördert und unterstützt werden.

Die Befähigung von nicht-ärztlichem Gesundheitspersonal zur Durchführung von Abtreibungen (task shift) wäre eine weitere, von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Maßnahme, um dem Versorgungsnotstand entgegenzuwirken. In Frankreich beispielsweise führen Hebammen seit Jahren erfolgreich medikamentöse Abbrüche durch. In Neuseeland werden Pflegekräfte und Hebammen in die Versorgung miteinbezogen.

Die Etablierung der Standards der neuen S2K-Leitlinie in der Praxis muss überprüft und gefördert werden. Eine S3-Leitlinie sollte angestrebt werden.

Problem: 

Es gibt einen akuten Versorgungsnotstand in vielen Regionen Deutschlands. So ist die Zahl der Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, seit 2003 um über 45% gesunken – von 2000 auf 1092 Stellen (4. Quartal 2021). In vielen Kliniken werden zudem nur Abbrüche nach medizinischer oder kriminologischer Indikation durchgeführt; dies betrifft lediglich 4% der Abbrüche. Ungewollt Schwangere müssen in manchen Regionen bis zu 200 km bis zur nächsten Praxis fahren. Weite Fahrtwege und der damit verbundene organisatorische und finanzielle Mehraufwand gefährden die psychische und physische Gesundheit von ungewollt Schwangeren. Medizinische Abläufe werden durch diese Zugangshürden unnötig verzögert. Der Schwangerschaftsabbruch ist am sichersten und schonendsten, je früher er durchgeführt wird. 

Durch den Versorgungsmangel wächst der Druck auf diejenigen von uns, die Abbrüche durchführen. Insbesondere in Regionen, wo wir die einzigen Versorger*innen in weitem Umfeld sind, sehen wir uns gezwungen, andere medizinische Behandlungen zugunsten der Abbrüche zurückstellen zu müssen, oder trotz Berentung weiter zu praktizieren.

Forderung: 

Für die Gesundheit unserer Patient*innen muss eine flächendeckende Versorgung von Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, gewährleistet werden. Wir benötigen eine verlässliche Erhebung der Versorgungslücken und schnelle politische Maßnahmen, welche dem Versorgungsnotstand gezielt entgegensteuern. Die Umsetzung der unter “Strafgesetzbuch”, “Schwangerschaftskonfliktgesetz” und “medizinische Aus- und Weiterbildung” genannten Forderungen könnte ein erster Schritt sein: Die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches, die Abschaffung der Verweigerung aus Gewissensgründen und eine bessere und breitere medizinische Ausbildung zum Schwangerschaftsabbruch – nicht nur für Gynäkolog*innen.

Schwangerschaftsabbrüche sollten, unabhängig von Klinikträgern und Konfession, Teil des Leistungsspektrums einer gynäkologischen Klinik sein. Gleichzeitig möchten wir unsere Kolleg*innen ermuntern, ihre ärztliche Verantwortung trotz strafrechtlicher Einschüchterungen ernst zu nehmen. Denn ungewollt Schwangere sind darauf angewiesen, dass es Ärzt*innen gibt, die bereit sind ihnen zu helfen. Außerdem sollte diese Arbeit nicht auf den Schultern einiger weniger lasten, sondern gleichmäßiger unter uns Kolleg*innen verteilt werden und Hebammen und Pflegepersonal in die Versorgung miteinbezogen werden.

Auch das Ermöglichen eines telemedizinisch begleiteten medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs, der ebenfalls von der WHO gefordert wird, sollte in Deutschland gefördert werden. Erfahrungen und Studien zur Sicherheit und Zuverlässigkeit der Methode liegen aus anderen Ländern vor. 

Problem: 

Sogenannte “Mahnwachen” und Demonstrationen von Abtreibungsgegner*innen vor anerkannten Beratungsstellen, Arztpraxen und Kliniken beeinträchtigen die Arbeit des Gesundheitspersonals. Zudem fühlen sich sie hilfesuchenden Patient*innen durch die Demonstrant*innen belästigt, eingeschüchtert oder abgewertet. 

Forderung: 

Wir fordern deutschlandweit Schutzzonen vor anerkannten Beratungsstellen, Arztpraxen und Kliniken, damit das Gesundheitspersonal ungestört den gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung von Schwangerschaftsabbrüchen erfüllen kann und Patient*innen ohne Belästigung Hilfe suchen können. Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit hören dort auf, wo Gesundheitsgefährdung und Belästigung anderer beginnen. 

Problem: 

Momentan gibt es keine nennenswerte medizinische Forschung zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland. Damit liegen wir weit hinter Ländern wie England, Schweden und Frankreich zurück. Da der Schwangerschaftsabbruch kein Forschungsgegenstand ist, wird er auch auf Fachkongressen und in Fortbildungen kaum thematisiert.

Forderung: 

Deutschland soll im Bereich der Reproduktiven Gesundheit kein Schlusslicht mehr sein. Medizinische Forschung zum Schwangerschaftsabbruch sollte in Deutschland vermehrt gefördert werden. 

Diskurs

Problem: 

Der Schwangerschaftsabbruch ist immer noch ein großes Tabu in unserer Gesellschaft. In unserer ärztlichen Praxis können wir dies tagtäglich beobachten: Viele Patient*innen können mit niemandem über ihren Abbruch reden, nicht einmal mit engen Verwandten oder Bekannten. Zugleich nehmen wir die Debatte häufig als emotional aufgeheizt, moralisch-religiös überladen und unsachlich wahr. Der Blick auf die Gesundheit der ungewollt Schwangeren geht dabei oft verloren. 

Forderung: 

Wir wünschen uns, dass ungewollt Schwangere von unserer Gesellschaft bestmöglich darin unterstützt werden, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Die Debatte zum Thema Schwangerschaftsabbruch sollte so sachlich und gesundheitsorientiert wie möglich und so emotional wie nötig geführt werden. Als Gesellschaft sollten wir fürsorglich und vorurteilsfrei mit denjenigen umgehen, die einen Abbruch durchführen lassen – es könnten unsere Freund*innen oder Familienmitglieder sein. Das in Deutschland vorherrschende Klima vermeintlicher Liberalität, welches mit der Realität bezüglich Gesetzeslage, Versorgungs- und Ausbildungssituation leider nicht übereinstimmt, gilt es zu durchbrechen und die bestehenden Probleme ernst zu nehmen. Wir hoffen, dass das Thema Abtreibung durch eine vermehrte gesellschaftliche Auseinandersetzung und nicht zuletzt auch durch unsere Arbeit enttabuisiert wird, damit wir frei von Vorurteilen über Sexualität, Fortpflanzung und Familienplanung sprechen können.

Problem: 

Leider bestehen selbst in der Medizin immer noch viele Mythen zum Schwangerschaftsabbruch – beispielsweise der Mythos des traumatisierenden Schwangerschaftsabbruches, der zu Depressionen oder Unfruchtbarkeit führe. Dieses sog. “Post-Abortion-Syndrom” konnte in Studien nicht nachgewiesen werden. Eine vorübergehende depressive Verstimmung kann auftreten, da eine existenziell bedeutsame Entscheidung getroffen werden muss. Die Belastung ist im Allgemeinen vor dem Abbruch am höchsten. Stigmatisierung und Zugangshürden erhöhen die psychische Belastung nachweislich. Das vorwiegende und langfristige Gefühl nach einem Abbruch ist bei den meisten Erleichterung. 95% der Betroffenen bereuen den Abbruch auch drei Jahre später nicht. Das Austragen einer ungewollten Schwangerschaft führt zu einer größeren psychischen Belastung als der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft. Weit verbreitete Mythen wie das des sog. “Post-Abortion-Syndroms” erschweren eine sachliche und medizinisch korrekte fachpolitische Debatte. Außerdem gefährden sie die Patient*innen, die – wissentlich oder unwissentlich – falsch informiert und beraten werden. 

Forderung: 

Wir fordern, dass die medizinische und gesundheitspolitische Community sich intensiv mit diesem wichtigen Gesundheitsthema auseinandersetzt. Um sachlich und fundiert zu diskutieren, sollten die evidenzbasierten Erkenntnisse von qualitativ hochwertigen Studien, internationalen Fachgesellschaften und der Weltgesundheit (WHO) unbedingt zu Rate gezogen werden. Mit unserem Verein wollen wir einen Beitrag zu dieser fachpolitischen Debatte leisten.

Quellen

  • Statistisches Bundesamt: Statistik zum Schwangerschaftsabbruch, Stand: 18.05.2022
  • Weltgesundheitsorganisation (WHO), Abortion Care Guideline, 2022. Stand: 08.03.2022
  • United Nations Committee on the Elimination of Discrimination against Women (CEDAW), Concluding observations on the combined seventh and eighth periodic reports of Germany, Paragraph 38b, 2017, Stand: 21.08.19. 
  • Bericht der „German Alliance for Choice“ an die Vereinten Nationen zur Umsetzung der CEDAW-Konvention
  • Matić-Bericht des EU-Parlamentes, Stand 08.08.2022
  • Versorgung mit Ärzt*innen – Rückmeldungen aus den Landesverbänden, pro familia Magazin 02/2019, 5-10.
  • Alicia Baier, Schwangerschaftsabbruch – das Tabu in der medizinischen Ausbildung, pro familia magazin 02/2019, 20-21. 
  • Gabriella Zolese et al., The Psychological Complications of Therapeutic Abortion, 1992, British Journal of Psychiatry, 160 (6), 742-749. 
  • Brenda Major et al., Psychological responses of women after first-trimester abortion, 2000, Archives of General Psychiatry, 57 (8), 557:777–784.
  • Corinne H Rocca et al., Decision Rightness and Emotional Responses to Abortion in the United States: A Longitudinal Study, 2015, PLOS ONE, 10 (7).
  • American Psychological Association (APA), Task Force on Mental Health and Abortion, Report of the APA Task Force on Mental Health and Abortion, 2008.
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