Die freie Entscheidung über die Fortführung der Schwangerschaft ist elementarer Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es gehört zur Schutzpflicht des Staates, durch eine bundeseinheitliche Regelung die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Frauen unbeeinträchtigt durch Dritte von diesem Recht auch tatsächlich Gebrauch machen können.
Dr. Sina Fontana
Heute wurde das Rechtsgutachten zu den „Möglichkeiten gesetzlicher Neuregelungen im Konfliktfeld «Gehsteigbelästigungen»“ von Dr. Sina Fontane im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie veröffentlicht.
Unter „Gehsteigbelästigungen“ versteht man die Protestaktionen von Abtreibungsgegner*innen direkt vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Krankenhäusern und Praxen. Es sind meist Gruppen von christlichen Fundamentalist*innen, die mit Plakaten mit teilweise abschreckenden Bildern, Puppen von Föten und Kreuzen bestückt vor den Praxen stehen, beten oder eintretende Menschen ansprechen, bedrängen oder beschimpfen. Dies kann für ungewollt Schwangere und das Personal sehr belastend sein. Beratungstellen wie beispielsweise pro familia fordern schon lange einen besseren Schutz und Durchgreifen der Politik. In Hessen und Pforzheim wurde diesen Forderungen nach langem Ringen nachgekommen: hier dürfen die Proteste nur außerhalb des Sichtbereichs des Eingangs stattfinden. In den meisten anderen Regionen ist man jedoch sehr zögerlich, ebenfalls rechtlich dagegen vorzugehen. Eine bundeseinheitliche Regelung wäre daher dringend notwendig, um Betroffene und Personal zu schützen. Das nun veröffentlichte Rechtsgutachten ist dahingehend wegweisend.
Es kommt zum Schluss, dass das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Person, welches im Falle einer frühen Schwangerschaft der besonders schützenswerten Intimsphäre zuzuordnen ist, in der Regel schwerer wiegt als die Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht oder die Religionsfreiheit der Abtreibungsgegner*innen. Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit könnten auch außerhalb der Hör- und Sichtweite der Einrichtung ausgeübt werden. Die schwangere Person hingegen ist gesetzlich verpflichtet, die Pflichtberatung aufzusuchen, um im Rahmen des §218 straffrei einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu können.
Ungewollt Schwangere haben also das Recht auf einen ungehinderten Zugang zu Beratungsstelle. Deshalb gibt es einen dringenden Reformbedarf, schlussfolgert das Gutachten. Dafür werden konkrete Vorschläge für gesetzliche Regelungen im Schwangerschaftskonfliktgesetz gemacht. Denkbar wären folgende Möglichkeiten:
- [1] „eine klarstellende Regelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz, welche sich in den bestehenden Normenkomplex eingliedert. Diese Ergänzung soll ausdrücklich festhalten, dass für die schwangeren Frauen gewährleistet sein muss, dass sie von ihrem aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht resultierenden Recht, eine von außen unbeeinflusste Entscheidung über den Fortgang ihrer Schwangerschaft zu treffen, Gebrauch machen können.“
- [2] das Einfügen eines neuen Ordnungswidrigkeitentatbestands, für den der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat.
Neben dem Rechtsgutachten gibt es ein Dossier mit konkreten politischen Handlungsempfehlungen im Konfliktfeld Gehsteigbelästigungen.