Im Juni 2022 wurde Prof. Dr. Mandy Mangler für ihre innovative Aufklärung zur Gesundheit von Frauen und Mädchen und ihr Engagement für mehr Gleichberechtigung in der Medizin der Berliner Frauenpreis verliehen. Die Preisverleihung fand am 13.06.2022 im Roten Rathaus statt. Unser Vorstandsmitglied Alicia Baier arbeitet seit Januar in ihrem Team und hielt bei der Preisverleihung eine der beiden Laudationes.
Im Folgenden finden Sie die Rede zum Nachlesen:
Wie schön, dass wir heute hier im Roten Rathaus zusammenkommen, um gemeinsam über eine feministische Frauenheilkunde nachzudenken. Prof. Mandy Mangler hat sich auf beispielhafte Weise diesem Thema verschrieben, als Feministin, als Ärztin, als Berufspolitikerin, als Podcasterin, als Wissenschaftlerin, als Aktivistin – und zugegebenermaßen liegt vor ihr und uns, die wir ihr folgen, noch ein weiter und steiniger Weg.
Über Jahrhunderte war Medizin eine reine Männerdomäne. Heute ist das anders, und doch – obwohl weit über zwei Drittel der Gynäkolog*innen mittlerweile weiblich sind, bleiben Führungspositionen in Wissenschaft und Praxis, oberärztliche und chefärztliche Stellen, Vorträge bei medizinischen Fachkongressen, überwiegend in männlicher Hand. Als Ausrede heißt es oft, es gebe nicht genügend qualifizierte Frauen. Ein Schein-Argument, das Prof. Mandy Mangler anschaulich widerlegte, indem sie einen rein weiblich besetzten medizinischen Fachkongress organisierte. Dass Frauen in der Gynäkologie auch sprachlich gerne unsichtbar gemacht werden, sieht man daran, dass die offizielle Zeitschrift der Gynäkolog*innen Deutschlands „Der Frauenarzt“ heißt, eine andere – gyne – schreibt, sie sei die Fachzeitschrift für „den Arzt der Frauen“. Trotz vielfacher Proteste und Mandy Manglers Petition für eine Umbenennung hat sich bis heute nichts daran geändert. Es wirkt wie aus der Zeit gefallen – gendergerechte Sprache ist längst weit verbreitet und auch im Berliner Senat zB ja schon lange angekommen. Wir sehen daran, wie verkrustet und patriarchal die Strukturen insbesondere in der deutschen Frauenheilkunde noch immer sind.
Wenn jedoch der weibliche Körper vorwiegend von Männern beforscht und erklärt wird, bleibt leider vieles verschleiert – und so wurden frauenspezifische Gesundheitsbelange seit jeher tabuisiert und wissenschaftlich unterrepräsentiert.
Das sehen wir heute an Erkrankungen wie der Endometriose, an der 10% aller Frauen leiden, die jedoch häufig als normale Regelschmerzen abgetan werden und deren Diagnosestellung sich oft um viele Jahre verzögert; während Schmerzen bei Frauen als natürlich und normal angesehen werden, wurde ihre Lust und Sexualität bislang weitgehend ignoriert – die Unwissenheit und falschen Darstellungen über die Anatomie und Funktionsweise weiblicher Sexualität ist erschreckend. Die selbstbewusste, lustvolle und sexuell aktive Frau scheint im Patriarchat gefürchtet. Ich empfehle hierzu auch Mandy Manglers wissenschaftlichen Artikel über die historisch ausradierte Klitoris zu lesen.)
Ein besonders vernachlässigter Bereich von Frauengesundheit ist der, in dem es um die mögliche Folge von Sexualität geht – nämlich der Bereich der reproduktiven Gesundheit und Selbstbestimmung. Hierzu gehören Themen wie Sexualaufklärung, Verhütung, ein enttabuisierter Umgang mit Fehlgeburten, gewaltfreie Geburtshilfe, selbstbestimmte Elternschaft, fairer Zugang zu Reproduktionsmedizin, und nicht zuletzt der Schwangerschaftsabbruch. Lassen Sie mich hier ein wenig ausholen, denn gerade der Schwangerschaftsabbruch ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Macht und Kontrolle über den weiblichen Körper ausgeübt werden, und damit die Gefährdung von Frauengesundheit in Kauf genommen wird.
Schwangerschaftsabbrüche – ein medizinischer Eingriff fast so häufig wie Blinddarmoperationen, der weltweit jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens betrifft- werden in Dtld immer noch im Strafgesetzbuch geregelt, neben Mord und Totschlag, und Betroffene müssen eine Pflichtberatung und Pflichtwartezeit vor dem Eingriff absolvieren – selbst dann ist der Eingriff immer noch rechtswidrig. Deutschland verstößt mit dieser stigmatisierenden Regelung gegen internationale Menschenrechtsverpflichtungen: neben der UN-Frauenrechtskonvention fordert auch die WHO Abbrüche zu entkriminalisieren, Zugangshürden wie Zwangsberatung und Pflichtwartezeit abzuschaffen, und Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche von den Krankenkassen zu übernehmen.
Mit der strafrechtlichen Regelung wird auch in Kauf genommen, dass es immer weniger Ärzt*innen gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sodass ganze Regionen in Deutschland bereits unterversorgt sind. Für die betroffenen Frauen bedeutet das neben weiteren Fahrtwegen, höheren Transportkosten und vermeidbarem Stress auch das Gefühl, isoliert zu sein und in einer medizinischen Notlage von der eigenen Gynäkologin abgewiesen zu werden.
Aufgrund dieser unwürdigen Zustände ist vor gut zwei Jahren unser gemeinnütziger Verein Doctors for Choice Germany entstanden – wir sind ein deutschlandweites Netzwerk feministischer Ärzt*innen und Medizinstudierender, die sich für das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung und für einen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen. Prof. Mandy Mangler war eines unserer ersten Mitglieder, und sie geht hier beispielhaft in ihrer eigenen Klinik vor: Sie legt Wert darauf, dass unser Team alle Bereiche von reproduktiver Gesundheit abdeckt. Und so darf ich in einem Team arbeiten, in dem wir uns alle an der Durchführung von Abbrüchen beteiligen, so wie wir uns alle an der Versorgung von Geburten beteiligen. Denn beides gehört zum Leben unserer Patient*innen dazu: Es sind oft dieselben Frauen, die Jahre nach einem Abbruch zur Geburt zu uns kommen. Und andersherum haben 60% der Frauen, die einen Abbruch durchführen lassen, schon mindestens ein Kind geboren.
Um Frauen würdevoll zu behandeln, um ihre Selbstbestimmung zu wahren, brauchen wir gynäkologische Teams, in denen grundlegende Eingriffe, die zu diesem Fachbereich dazugehören, nicht auf wenige Schultern ausgelagert werden. Nur so kann das Team und damit die Klinik oder Praxis gewährleisten, dass Patient*innen diskriminerungsfrei behandelt werden, egal, mit welchem medizinischen Anliegen sie zu uns kommen. Leider gibt es immer mehr Kliniken, viele christliche, aber auch zunehmend öffentliche und private Kliniken, in denen das genaue Gegenteil passiert – dort werden grundsätzlich keine Abbrüche durchgeführt, meistens weil der Chefarzt oder die Chefärztin hier die Linie für das Haus vorgibt. Damit entziehen diese Kliniken sich nicht nur ihrem medizinischen Versorgungsauftrag, sondern auch ihrem Weiterbildungsauftrag: denn Ärzt*innen, die in diesen Häusern ihre Weiterbildung zur Gynäkologin absolvieren, werden mit Schwangerschaftsabbrüchen nicht in Berührung kommen. Leider beginnt das Problem meist schon davor: Auch während des Medizinstudiums werden Schwangerschaftsabbrüche trotz ihrer Häufigkeit oft ausgeklammert.
Doch es besteht Hoffnung: eine neue Generation junger, feministischer Ärzt*innen rückt nach –nachdem wir 2015 die erste deutsche Hochschulgruppe der Medical Students for Choice in Berlin aufgebaut haben, gibt es sie mittlerweile an vielen deutschen Universitäten. Es sind Medizinstudierende, die sich dafür einsetzen, dass Abbrüche in ihrem Studium gelehrt werden, und die sog. Papaya-Workshops organisieren. Das sind Workshops, in denen man an einer Papaya als Uterusmodell den chirurgischen Abbruch üben kann. Vor zwei Wochen haben wir den Workshop zum ersten Mal bei uns im Auguste-Viktoria-Klinikum stattfinden lassen, da die Charite damit leider nicht öffentlich in Verbindung gebracht werden wollte. Wie gut zu wissen, dass Prof. Mandy Mangler hinter dieser jungen, wissbegierigen und feministischen Generation von Medizinstudierenden steht, für die sie wiederum ein Vorbild ist.
Prof. Mandy Manglers kluges Engagement für eine gleichberechtigte Frauenheilkunde findet auf so vielen Ebenen statt und jede einzelne Ebene ist wichtig, beispielhaft und beeindruckend.
Vor allem aber ist es von unschätzbarem Wert, wenn solch wichtige Impulse von einer renommierten Chefärztin kommen – gerade in unserer noch so hierarchisch geprägten Medizin. Wir brauchen mehr feministisch geführte Frauenkliniken, die sich der historisch gewachsenen Misogynie in der Medizin widersetzen und einen neuen Weg einschlagen. Ich bin Prof. Mandy Mangler unglaublich dankbar dafür, dass sie sich gerade in ihrer Position und mit ihrem Einfluss für eine feministische Gynäkologie einsetzt – gegen alle Widerstände. Das ist tatsächlich auch ein Novum in Deutschland und hat es so noch nicht vorher gegeben. Es bewirkt konkrete Veränderungen und macht vor allem sehr viel Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Dr. Alicia Baier, Vorstandsmitglied Doctors for Choice Germany e.V.