Ergebnisse der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung sind klarer Handlungsauftrag an Regierung

Stellungnahme von Doctors for Choice Germany e.V. vom 16.04.2024

Die von der Ampelkoalition eingesetzte Arbeitsgruppe zum Thema Schwangerschaftsabbrüche in der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung hat ihre Arbeit nach einem Jahr abgeschlossen und empfiehlt eine umfassende Änderung der bestehenden Gesetze.Doctors for Choice Germany begrüßt die Empfehlungen der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung.

Dr. med. Alicia Baier, Vorstandsmitglied und Mitgründerin von Doctors for Choice, ergänzt:

“Auch wenn die Kommissionsempfehlung in Teilen hinter den internationalen medizinischen und menschenrechtlichen Empfehlungen zurückbleibt, ist ihre Umsetzung unter Ausschöpfung des entsprechenden Handlungsspielraums unbedingt notwendig. Eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches ist nicht nur möglich, sondern dringend geboten, das unterstreicht die Kommission unmissverständlich.”

Doctors for Choice ordnet die Empfehlungen wie folgt ein: 

  1. Der Schwangerschaftsabbruch soll innerhalb der ersten 12 Wochen legalisiert werden. Die Empfehlung schließt eine mögliche Legalisierung bis zur 22. Schwangerschaftswoche mit ein. Doctors for Choice Germany bekräftigt diese Empfehlung einer grundsätzlichen Entkriminalisierung und fordert, dass der Ermessensspielraum für eine verlängerte Frist genutzt wird. Denn laut Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO Abortion care guideline, 2022) führen Fristen nicht dazu, dass Abbrüche weniger häufig oder früher stattfinden. Für manche Menschen stellen sie hingegen eine Zugangshürde dar, wie die Forschung zeigt. Fristen, ab wann ein Abbruch nicht mehr erlaubt sein soll, lassen sich entsprechend aus medizinischer Sicht nur schwer begründen.
  2. Bei der Beratungspflicht sieht die Kommission ebenfalls einen Gestaltungsspielraum für die Regierung. Die Nachteile der Pflichtberatung für die Betroffenen – zeitliche Verzögerung und Bevormundung – werden benannt. Zudem wird festgestellt, dass die erwartete Schutzwirkung der Pflichtberatung für den Embryo nicht belegt ist. Sicher gibt es Betroffene, für die eine Beratung hilfreich sein kann. Beratungen wirken aber am besten, wenn sie auf freiwilliger Basis erfolgen. Ein breites, niedrigschwelliges Beratungsangebot im Sinne eines finanziell abgesicherten Rechtsanspruchs auf Schwangeren-, Familienplanungs- und Sexualberatung ist daher unbedingt erforderlich. Doctors for Choice verweist auch hier auf die Empfehlungen der WHO, die eine Abschaffung von verpflichtender Beratung und Wartezeit fordert, da diese Zugangshürden darstellen.
  3. Doctors for Choice begrüßt, dass die Kommission einen Rechtsanspruch auf Kostenübernahme für den Schwangerschaftsabbruch für erforderlich hält.
  4. Laut Kommission ist der Schwangerschaftsabbruch ausreichender Bestandteil der ärztlichen Weiterbildung, da dieser anhand von Fehlgeburten erlernt werde. Hierzu verweist Doctors for Choice auf eine Veröffentlichung, die sich kritisch mit dieser Aussage auseinandersetzt. Zudem liegen nun die Ergebnisse der ELSA-Studie vor, die vom Bundesministerium für Gesundheit finanziert und deren Ergebnisse am 10. April 2024 vorgestellt wurden. Sie bestätigt, dass viele Gynäkolog*innen die empfohlene operative Methode – die Vakuumaspiration – und in noch größerem Ausmaß die medikamentöse Methode eben nicht während der gynäkologischen Weiterbildung erlernen. Zudem stellt die ELSA Studie erstmals auch für Deutschland fest, was zuvor schon durch die internationale Forschung bekannt war: Es besteht eine deutliche Korrelation zwischen dem Erlernen während der Weiterbildung und der Wahrscheinlichkeit, später selbst Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. Die explizite Erwähnung des Schwangerschaftsabbruchs in der Weiterbildungsordnung, sowie die praktische Durchführung des medikamentösen und operativen Schwangerschaftsabbruchs während der gynäkologischen Weiterbildung, sollten daher pflichtmäßig verankert werden.
  5. Doctors for Choice kritisiert, dass sich die Kommission im medizinischen Abschnitt der Kommissionsempfehlung durchweg auf die veraltete WHO-Richtlinie von 2012, nicht aber auf die aktuelle, weiterentwickelte Richtlinie von 2022 bezieht, die die vorherigen Versionen ersetzt.
  6. Neben der Entkriminalisierung fordert Doctors for Choice weiterhin das Einbeziehen von anderen Berufsgruppen (z.B. Hebammen) in die medizinische Versorgung.

Doctors for Choice erwartet von der Ampelkoalition nun eine zeitnahe Umsetzung der Kommissionsempfehlungen. Dabei ist es wichtig, dass die Regierung bei der Umsetzung auch Maßnahmen zur Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung unternimmt. Insbesondere die medizinischen Fachgesellschaften (z.B. deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe [DGGG], Berufsverband der Frauenärzte [BVF]) sieht Doctors for Choice in der Verantwortung, die Regierung hierbei zu unterstützen. Auch Doctors for Choice Germany e.V. – als Verein mit langjähriger praktischer Erfahrung mit der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen – steht gerne mit beratender und unterstützender Funktion zur Verfügung. Eine gelungene Umsetzung der Empfehlungen kann nur gemeinsam mit denjenigen, die tagtäglich ungewollt Schwangere in Deutschland versorgen, erfolgen.


Die Stellungnahme kann hier als PDF angezeigt und heruntergeladen werden.


17.4.2024: Gemeinsame Pressemitteilung von Verbänden – Der Schwangerschaftsabbruch muss und kann außerstrafrechtlich geregelt werden

Unsere Verbände und Organisationen begrüßen den Bericht der AG 1 der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin.
Wir wenden uns heute an die Bundesregierung und fordern jetzt zügig eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs im Einklang mit Grundgesetz und internationalen Menschenrechten und Gesundheitsrichtlinien.
Die ELSA-Studie zeigt, dass die Versorgungslage und -qualität vielenorts und die Erfahrungen vieler ungewollt schwangerer Menschen problematisch sind. Der Kommissionsbericht zeigt vom geltenden Gesetz geschaffene Probleme auf und bietet Lösungsansätze an.
Auf dieser Grundlage muss die Regierung notwendige Gesetzesänderungen noch in dieser Wahlperiode umsetzen.

Die Pressemitteilung als PDF-Dokument.

Ergebnisse der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung sind klarer Handlungsauftrag an Regierung
Nach oben scrollen