Wir schreiben 150 Jahre Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzgebuch (StGB) neben Mord und Totschlag und es ist kein Ende in Sicht – das ist die zutiefst erschütternde Tatsache, mit der Frauen, gebärfähige Personen und deren Ärzt*innnen in Deutschland noch immer konfrontiert sind. Wir trauern um tausende Frauen, die in diesen 150 Jahren ihr Leben infolge illegaler oder selbst durchgeführter Abtreibungen und Suiziden wegen ungewollter Schwangerschaft verloren haben, wir fühlen mit Abertausenden, die gesundheitliche Schäden davongetragen haben.
Wir sind stolz auf unsere Kolleg*innen, die in den vergangenen 150 Jahren mutig und unbeirrbar für Frauengesundheit, Verhütung, Familienplanung, für die Legalisierung der Abtreibung eingestanden haben. Bis heute stehen wir für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Menschen mit Uterus ein, über ihren Körper zu entscheiden und helfen ungewollt Schwangeren aus ihrer Not. Nicht wenige, die eine Schwangerschaft abgebrochen haben, erhielten Berufsverbot, gingen ins Gefängnis, oder wurde dem Tode bestraft – viele davon in der Zeit des Nationalsozialismus.
Auch heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass in Deutschland, einem Land mit einem der besten Gesundheitssysteme der Welt, ungewollt Schwangere aufgrund dieses Strafrechtsparagraphen weder die bestmögliche Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch, noch die Wahlfreiheit für die Methode des Abbruchs haben. Eine niederschwellige, sichere, diskriminierungsfreie, wohnortnahe Versorgung ist nicht flächendeckend gewährleistet – auch die Nachbetreuung leidet. Das bedeutet ganz einfach ausgedrückt eine gesundheitliche Gefährdung von Frauen und Menschen mit Uterus, deren körperliche und seelische Unversehrtheit sowie deren Stigmatisierung.
Gleichzeitig sehen sich Ärzt*innen, die selbst Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wie Doctors for Choice und viele andere, Anfeindungen ausgesetzt. Durch die Stigmatisierung und Kriminalisierung werden Personen, die sich für eine gute Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch einsetzen und die Streichung der §§ 218 ff StGB fordern, selbst Opfer eines internationalen Backlashs gegen „Frauenrechte“.
Dabei ist das sogenannte Werbeverbot gemäß § 219a StGB besonders herauszuheben: Durch diesen Paragraphen wird die reine Informationsverbreitung verboten und diejenigen kriminalisiert, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und darüber fachgerecht informieren.
Aus all diesen Gründen (und vielen mehr) meinen wir: 150 Jahre § 218 StGB sind 150 Jahre zu viel.
Wir von Doctors for Choice Germany haben eine Vision:
Wir wünschen uns eine Welt, in der Frauen und Menschen mit Uterus das volle Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper haben – unabhängig von patriarchalen und religiös geprägte Familienstrukturen und fundamentalistisch rechten Kräften. Frauen und Eltern bekommen die Kinder, die gewünscht sind. Eine Austragungspflicht ist aufgehoben. Statt Stigmatisierung und Tabuisierung der Abtreibung bringt die Gesellschaft den betroffenen ungewollt Schwangeren sowie ihren Ärzt*innen Akzeptanz und Empathie entgegen. Die Gesellschaft sorgt dafür, dass Frauen, Menschen mit Uterus, Eltern und Kinder nicht benachteiligt sind.
Für diese Vision setzen wir unsere Kräfte ein.
Wir erwarten von der Gesellschaft und ihren Entscheidungsträger*innen in Politik, Medizin und Ausbildung, ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche endlich als potentielles Ereignis in jedem Frauen- und Menschenleben zu begreifen und zu akzeptieren, statt sie zu tabuisieren. Wir fordern die Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention CEDAW und deren Implementierung in das deutsche Rechts-, Gesundheits- und Bildungssystem. Das bedeutet, dafür zu sorgen, dass Abbrüche legalisiert, akzeptiert, wohnortnah, niederschwellig und nicht diskriminierend angeboten werden und in der Ausbildung von Mediziner*innen ihren festen Platz haben.
Gerade wir Ärzt*innen fordern die Streichung der §§ 218/219a aus dem Strafgesetzbuch. Denn wir wissen aus direkter Erfahrung, was der Schandparagraph für Frauen und Menschen mit Uterus und ihre Gesundheit bedeutet.
Weitere Materialien/ Hilfreiche Links:
- Gemeinsam mit über 120 weiteren Organisationen haben wir den Aufruf des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung unterschrieben und fordern die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.
- Geplante Aktionen deutschlandweit anlässlich des 150. Jahrestags
- Aktionsmaterialien
- Plakatreihe „Nein zu §218 StGB“ mit Vorstellung verschiedener Aktivist*innen und Gegner*innen des §218 StGB im Laufe der Zeit. Die Dateien stehen frei zum Download zur Verfügung und können als Gallery Walk benutzt werden.
- Weitere Aktionsmaterialien des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung
- Petition zur Abschaffung des §218 StGB
- Dossier des Gunda-Werner-Instituts mit weiteren Informationen zum §218 StGB