Mit folgendem Brief haben wir uns an das Bundesgesundheitsministerium gewandt, um auf die anhaltenden Schwierigkeiten ungewollt Schwangerer, während der Corona-Pandemie Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch zu finden, aufmerksam zu machen:
Sehr geehrter Herr Minister Spahn,
Bereits am 23.März 2020 haben wir in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit pro familia und dem AKF (s. Anhang) unsere Befürchtungen mitgeteilt, dass der Zugang zu einem gesetzeskonformen und sicheren Schwangerschaftsabbruch während der Covid-19-Pandemie zusätzlich erschwert sein wird und ungewollt Schwangere dadurch gesundheitlich gefährdet werden könnten.
pro familia als größte Beratungsorganisation im Bereich Schwangerschaftskonfliktberatung hat erneut in einer Pressemitteilung vom 7. April 2020 (s. Anhang) Ihr Ministerium wie auch das BMFSFJ aufgefordert:
„ …. den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch der Krise angepasst niedrig schwelliger zugänglich zu machen und die Versorgung in allen Regionen in Deutschland gleichermaßen sicherzustellen“
Wir sind erleichtert, dass zeitnah eine wesentliche Forderung, nämlich die Pflichtberatung per Telefon oder Video zu genehmigen, umgesetzt wurde.
Allerdings bestehen weiterhin gravierende Zugangshürden für die betroffenen Frauen, die dringend bundesweit abgebaut werden müssen.
Folgende wichtige Forderungen bestehen bereits und sollten dringend und kurzfristig umgesetzt werden. Auch wenn wir mittlerweile in die Phase der Lockerung der Pandemie-Maßnahmen eingetreten sind, werden kontaktbeschränkte Maßnahmen noch länger notwendig sein.
1) Die Kostenübernahmeanträge und Kostenübernahmeerklärungen der Krankenkassen sollten als einheitliche Online-Formulare bundesweit bereit gestellt werden.
Dazu wieder pro familia:
„Durch die Schließung der Krankenkassen für den Publikumsverkehr ist es notwendig geworden, dass Formulare zur Kostenübernahme beim Schwangerschaftsabbruch online verfügbar sind. Eine große Erleichterung wäre ein bundesweit einheitliches Formular, das Beratungsstellen den Frauen auf Wunsch mitgeben können. Sprechen Sie mit den Verantwortlichen und bahnen Sie bitte einen Weg dafür…“
Das Sozialministerium des Saarlandes hat bereits am 27.03.2020 einen für alle Kassen gültigen Antrag auf Kostenübernahme (s. Anhang) zur Verfügung gestellt. Auch das Hessische Sozialministerium ist bemüht, die Krankenkassen zu unbürokratischem Handeln in Sachen Kostenübernahme zu veranlassen.
Insbesondere aus Bayern, Brandenburg und Teilen Baden-Württembergs erreichen uns jedoch weiterhin Nachrichten, dass Frauen bis zu 14 Tagen Verzögerungen in Kauf nehmen müssen, bis sie die Kostenübernahmeerklärung erhalten, auch wenn bereits einige Krankenkassen Blankoformulare per Mail an die Klient*innen versenden, und somit das Verfahren vereinfacht haben.
Inzwischen wurde bekannt, dass die GKV – Spitzenverbände sich dahingehend geäußert hätten, eine digitale Lösung nicht zeitnah zur Verfügung stellen zu können.
Eine für alle Krankenkassen gleiche Verfahrensweise ist dennoch dringend geboten. Wir halten die Lösung mit Blankoformularen, wie sie im Saarland praktiziert wird, für einen zunächst akzeptablen Kompromiss.
Wir bitten Sie, sorgen Sie umgehend dafür, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen hier aktiv werden und dem Vorbild des Saarlandes folgen und dieses Blankoformular bundesweit eingesetzt wird. Das Blanko-Formular kann problemlos von allen Krankenkassen an die Schwangeren per Mail oder online versandt bzw. von den Beratungsstellen ausgegeben werden und umgehend von den Frauen* an die Kasse zurückgesandt werden. Auch der Berechtigungsschein kann ohne physischen Kontakt der Schwangeren bzw. auf Wunsch der Schwangeren direkt der durchführenden Praxis per Post oder Mail zugestellt werden.
Es sind schwerwiegende und vermeidbare Hindernisse, dass ungewollt Schwangere aufgrund bürokratischer Hürden Zeit auf ihrem ohnehin schwierigen Weg zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch verlieren, oder deshalb gar die gesetzlich vorgegeben Fristen nicht einhalten können. Gerade während der Pandemie sind unbürokratische Wege möglich und nötig! Außerdem werden aktuell in hohem Ausmaß Zeit- und Arbeitsressourcen von Beratungsstellen und Arztpraxen für die Beseitigung bürokratischer Hindernisse verschwendet.
2) Der Zugang für ungewollt Schwangere zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen muss bundesweit gewährleistet sein.
Der bereits bestehende Versorgungsnotstand in vielen Regionen Deutschlands ist Ihnen hinreichend bekannt. Er hat sich in der Pandemie allein durch Praxisschließungen oder Quarantänemaßnahmen weiter zugespitzt. Schwangerschaftsabbrüche sind keine elektiven Eingriffe, die aufgeschoben werden können,sie müssen auch während der Corona-Krise zeitnah innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist durchgeführt werden. Insbesondere in Bezug auf chirurgische Schwangerschaftsabbrüche muss daher bundesweit, in allen Bundesländern, klargestellt werden, dass es sich nicht um elektive oder aufschiebbare, sondern um notwendige Eingriffe im Sinne der Pandemieregelungen handelt. Dies entspricht auch der internationalen Einschätzung (WHO 2020).
Aus gegebenem Anlass betonen wir: Nicht nur staatlich bezuschusste Krankenhäuser, aber diese in ganz besonderem Maße, müssen hier den gesetzlichen Versorgungsauftrag erfüllen. Hier erwarten wir eine sofortige und eindeutige Klarstellung des Bundesgesundheitsministers und der zuständigen Minister*innen der Länder.
Wir appellieren an Sie: Übernehmen Sie Ihre Verantwortung für die Frauengesundheit, überlassen Sie ungewollt schwangere Frauen nicht der Willkür und sorgen Sie für eine einheitliche Regelung gerade jetzt in Zeiten von Corona!
Wir sind uns bewusst, dass Ihr Ministerium und die GKV Spitzenverbände derzeit sehr stark durch die Coronapandemie in Anspruch genommen sind. Im Interesse der betroffenen Frauen* muss hier jedoch umgehend auf die regional sehr unsichere Versorgungssituation reagiert, und bürokratische und Versorgungshindernisse beseitigt werden. Wir erwarten eine zeitnahe Reaktion Ihres Ministeriums..
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med Alicia Baier, Vorstandsmitglied Doctors for choice Germany e.V.
Christiane von Rauch, Vorsitzende Pro Choice Deutschland e.V.