Anmerkung: Wir haben am 22.06.2021 noch Antworten von den Abgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) und Detlev Spangenberg (AFD) erhalten, die wir nun im Nachhinein im Sinne der Vollständigkeit in diesem Text ergänzt haben. Zudem haben wir am 24.06. noch die gemeinsamen Antworten der SPD-Politiker*innen erhalten, die wir ebenfalls ergänzt haben.
Wir haben uns vor zwei Wochen mit einem Brief an jeweils 3 Politiker*innen der Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke sowie AFD* gewandt. Darin haben wir ihre Positionen zum Schwangerschaftsabbruch mittels 6 kurzen Fragen abgefragt.
Wie angekündigt, möchten wir heute die Antworten der angeschriebenen Politiker*innen veröffentlichen.
Von der CDU/CSU haben alle drei kontaktierten Politiker*innen Armin Laschet (Kanzlerkandidat), Marcus Weinberg (Frauenpolitischer Sprecher) und Karin Maag (Gesundheitspolitische Sprecherin) auf die parteiübergreifende Wahlprüfstein-Formulare hingeweisen und uns keine selbstständige Antwort gegeben.
Von der FPD hat Katrin Helling-Plahr stellvertretend (für den kontaktierten Spitzenkandidaten & Vorsitzenden Christian Lindner und die gesundheitspolitische Sprecherin Christine Aschenberg-Dugnus) geantwortet (Antwortschreiben hier verlinkt). Nicole Bauer (Frauenpolitische Sprecherin) hat uns bis heute nicht geantwortet.
Bündnis 90/Die Grüne haben ein gemeinsames Antwortschreiben von Annalena Baerbock (Kanzlerkandidatin), Ricarda Lang (Frauenpolitische Sprecherin) und Maria Klein-Schmeink (Gesundheitspolitischen Sprecherin) an uns geschickt (Antwortschreiben hier verlinkt).
Von der Partei Die Linke haben wir eine Antwort der frauenpolitischen Sprecherin Cornelia Möhring erhalten (Antwortschreiben hier verlinkt). Ein Antwortschreiben von Janine Wissler (Spitzenkandidatin & Vorsitzende) sowie Achim Kessler (Gesundheitspolitischer Sprecher) blieben aus.
Für die AFD* hat sich nur Detlev Spangenberg (Gesundheitspolitischer Sprecher) zurückgemeldet (Anschreiben sowie Antwortschreiben hier verlinkt). Antworten von Tino Chrupalla (Spitzenkandidat & Vorsitzender) und Martin Reichardt (Frauenpolitischer Sprecher) blieben aus.
Die drei kontaktieren SPD-Politiker*innen Olaf Scholz (Kanzlerkandidat), Sönke Rix (Frauenpolitischer Sprecher) und Sabine Dittmar (Gesundheitspolitische Sprecherin) haben uns ebenfalls in einem gemeinsamen Schreiben geantwortet.
Wir bedanken uns hiermit für die Bereitschaft, unsere Fragen zu beantworten und sich dem Diskurs um reproduktive Selbstbestimmung sowie Fragen zum Schwangerschaftsabbruch zu stellen.
Zu den Fragen
1. Sollte eine Person Ihrer Meinung nach ohne Einmischung des Staates selbst entscheiden können, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder beendet?
- Katrin Helling-Plahr (FDP): Ja.
- Bündnis 90/Die Grüne: Ja, denn die Entscheidung, ob eine Frau eine Schwangerschaft abbricht oder nicht, ist allein ihre.
- Cornelia Möhring (Die Linke): Ja.
- SPD: Wir erkennen die Verantwortung und das Recht von Frauen auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung an.
- Detlev Spangenberg (AFD)*: Nein. Die Problematik des Schwangerschaftsabbruches ist nicht ohne gesetzliche Regelungen denkbar, da es sich um damit verbundene ethisch heikle Fragen handelt (analog etwa zur „Sterbehilfe“); Gesetze stellen immer eine „staatliche Einmischung“ dar.
2. Sind Sie für die Streichung des Paragraph 218 StGB?
- Katrin Helling-Plahr (FDP): Nein.
- Bündnis 90/Die Grüne: Ja, wir GRÜNE sind für die Entkriminalisierung von selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen.
- Cornelia Möhring (Die Linke): Ja.
- SPD: Gerade weil wir die Verantwortung und das Selbstbestimmungsrecht der Frau achten, stellen wir im Hinblick auf die Paragraphen 218 ff. fest: Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht.
- Detlev Spangenberg (AFD)*: Nein. Der § 218 wird in seiner Absolutheit durch die folgenden §§ mit Ausnahmeregelungen versehen. Daher ist eine Streichung des § 218 alleine nicht erforderlich oder sinnvoll; Schwangerschaftsabbrüche sind möglich. Es werden jährlich (laut Statistischem Bundesamt) etwa 100.000 Ungeborene durch Schwangerschaftsabbrüche getötet – diese Zahl ist den vergangenen fünf Jahren etwa gleichbleibend. Eine Änderung oder Vereinfachung der derzeitigen gesetzlichen Systematik insgesamt ist allerdings denkbar.
3. Sind Sie für die Streichung des Paragraph 219a StGB?
- Katrin Helling-Plahr (FDP): Ja.
- Bündnis 90/Die Grüne: Ja, es gilt insbesondere den § 219a schnellstmöglich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
- Cornelia Möhring (Die Linke): Ja.
- SPD: Ja, denn Frauen und Paare, die sich in einer Konfliktsituation für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, brauchen Zugang zu Informationen. Wir wollen daher einen freien und einfachen Zugang zu sachlichen medizinischen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche gewährleisten. Gerade bei einer ungewollten Schwangerschaft müssen schon früh Informationen für die Betroffene bereitstehen, um selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können. § 219a StGB schränkt Frauen nach wie vor zu stark in diesem Recht ein und führt zur nicht nachvollziehbaren Verurteilungen von Ärztinnen und Ärzten. §291a StGB muss daher gestrichen werden.
- Detlev Spangenberg (AFD*): Nein
4. Sind Sie dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche durch die Krankenkassen übernommen werden?
- Katrin Helling-Plahr (FDP): Ja.
- Bündnis 90/Die Grüne: Ja, um die Versorgung dauerhaft zu gewährleisten, braucht es eine Entstigmatisierung und Entkriminalisierung von selbstbestimmten Abbrüchen sowie eine generelle Kostenübernahme.
- Cornelia Möhring (Die Linke): Ja.
- SPD: Ja, im Rahmen der bisherigen gesetzlichen Regelungen aufgrund einer medizinischen oder kriminologischen Indikation und bei sozialer Bedürftigkeit.
- Detlev Spangenberg (AFD): Nein. Falls mit der Frage auf eine Ausweitung der derzeit geltenden Regelungen abgezielt wird, dann NEIN. In bestimmten Fällen ist eine Übernahme durch die GKV möglich. Der Forderung, ein „Schwangerschaftsabbruch sollte eine öffentliche Gesundheitsleistung werden“, können wir uns so nicht anschließen.
5. Sind Sie dafür, dass Verhütungsmittel durch die Krankenkassen übernommen werden?
- Katrin Helling-Plahr (FDP): Nein.
- Bündnis 90/Die Grüne: Ja, in einem ersten Schritt müssen die Kosten für ärztlich verordnete Mittel zur Empfängnisverhütung für Empfänger*innen von staatlichen Transferleistungen und Geringverdiener*innen unbürokratisch übernommen werden. Perspektivisch soll der kostenfreie und leichte Zugang zu Verhütungsmitteln für alle gelten.
- Cornelia Möhring (Die Linke): Ja.
- SPD: Ja, in der Familienplanung müssen Menschen selbstbestimmte Entscheidungen treffen können – eigenständig, partnerschaftlich, und unabhängig vom Einkommen. Wir werden deshalb für einen kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln sorgen und gezielt die Erforschung von Verhütungsmethoden für Männer fördern.
- Detlev Spangenberg (AFD)*: Nein. Empfängnisverhütung beziehungsweise Familienplanung stellt keine Maßnahme der Gesundheitsversorgung oder der Krankheitsvorsorge dar, daher ist eine reguläre Kassenleistung über das Erwachsenenalter hinaus nicht zu rechtfertigen. Ausnahmen, beispielsweise wenn eine medizinische Indikation vorliegt, können selbstverständlich die Empfängnisverhinderung als Kassenleistung rechtfertigen.
6. Es gibt immer weniger Stellen (Praxen und Kliniken), die noch Schwangerschaftsabbrüche durchführen – welche Schritte plant Ihre Partei, um die Versorgungslage in Deutschland zukünftig sicherzustellen?
- Katrin Helling-Plahr (FDP): Wenn sich eine Schwangere selbstbestimmt gegen eine Fortführung der Schwangerschaft entscheidet und die in Einklang mit verfassungsrechtlichen Vorgaben geschaffenen Voraussetzungen des § 218a StGB für einen straffreien Abbruch erfüllt, muss für sie auch ein Zugang dazu bestehen. Um in der Fläche ein ausreichendes Angebot zur Verfügung stellen zu können, ist es notwendig, die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen besser als bisher bereits in die medizinische Ausbildung zu integrieren. Wenn das nötige Fachwissen auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte gegeben ist, muss die Politik auch die ärztliche Bereitschaft zur Durchführung unterstützen. Dafür ist § 219a StGB zu streichen, der einer sachlichen Informationsaufbereitung durch Ärztinnen und Ärzte weiterhin im Wege steht und Letzteren damit suggeriert, ihr Engagement finde in einer Grauzone statt.
- Bündnis 90/Die Grüne: Um die Versorgung dauerhaft zu gewährleisten, braucht es eine Entstigmatisierung und Entkriminalisierung von selbstbestimmten Abbrüchen sowie eine generelle Kostenübernahme. Das ist nur möglich, wenn der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt wird. Das Thema Schwangerschaftsabbruch muss in die Ausbildung von Ärzt*innen nach international anerkannten Standards integriert werden. Neben der professionellen medizinischen Versorgung sind gute Beratungsangebote wichtig. Deshalb werden wir das breite Angebot an Familienplanungs- und Beratungsstellen absichern und die freiwilligen Beratungsangebote ausbauen. Schwangere, die eine Beratung aufsuchen sowie die Beratungsstellen und Ärzt*innen müssen mit einem bundeseinheitlich verankerten Schutz vor Anfeindungen und Gehsteigbelästigungen geschützt werden.
- Cornelia Möhring (Die Linke): Zentral für eine bessere Versorgung ist die Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Schwangerschaftsabbrüche und deren Nachsorge müssen ein Bestandteil der regulären Gesundheitsversorgung und entsprechend geregelt werden. Deshalb haben wir in der 19. Legislaturperiode den Antrag „Für das Leben – Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung sichern, reproduktive Gerechtigkeit ermöglichen“ (Drucksachennummer 19/26980) eingebracht, mit dem wir u.a. ein Gesetz zur Sicherung reproduktiver Rechte fordern. Dieses soll Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch streichen und das Schwangerschaftskonfliktgesetz ersetzen. Stattdessen soll ein Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft werden. Die Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche und deren Nachsorge wollen wir durch die gesetzlichen Krankenkassen im SGB V regeln. Die Länder sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen wiederum entsprechend ihres gesetzlichen Auftrags eine flächendeckende stationäre und ambulante Versorgung der neuen GKV-Leistung sicherstellen. Wo erforderlich müssen bestehende Strukturen als Leistungserbringer anerkannt werden. Außerdem müssen Schwangerschaftsabbrüche und deren Nachsorge entsprechend des wissenschaftlichen Stands in Studium, Ausbildung und Weiterbildung des medizinischen und pflegerischen Personals verankert werden.
Darüber hinaus wollen wir aus der Beratungspflicht ein Beratungsrecht machen: Ein Recht auf umfassende und auf Wunsch anonyme Beratung zu Fragen der Sexualität, Verhütung und Familienplanung sowie zu allen eine Schwangerschaft oder den Wunsch zur Beendigung einer Schwangerschaft unmittelbar oder mittelbar berührende Fragen als Teil der Gesundheitsversorgung im SGB V.
Außerdem wollen wir, dass Notfallkontrazeptiva sowie sämtliche Verhütungsmethoden von der Krankenkasse übernommen werden. - SPD: Frauen und Paare, die sich in einer Konfliktsituation für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, brauchen Zugang zu einer wohnortnahen, guten medizinischen Versorgung – das gilt ambulant wie stationär. § 219a StGB führt aber aktuell dazu, dass immer weniger Ärzt:innen bereit sind, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren und diese durchzuführen. Die geforderte Streichung des § 219a StGB würde den Zugang zu gynäkologischen Angeboten sicherlich verbessern.
- Detlev Spangenberg (AFD)*: Vonseiten unserer Partei ist diesbezüglich keine Planung dazu vorgesehen.
Wir haben zudem diese 6 Fragen als Wahlprüfsteine in den Online-Formularen von den Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und AFD* beantragt. Hier erwarten wir die Antworten spätestens Ende Juli und werden diese dann ebenfalls auf unseren Kanälen veröffentlichen.
* Anmerkung: Für uns ist die AFD ganz klar keine wählbare Partei, da sie nicht demokratisch und menschenfeindlich ist – auch in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch. Trotzdem sitzt sie aktuell im Bundestag und beeinflusst politische Entscheidungen. Deshalb haben wir beschlossen, die AFD in dieser Reihe mit aufzuführen.