Wir unterstützen die Pressemitteilung des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) und wollen auch unsere Stimme für die Rationalität erheben. Deswegen wollen wir die Pressemitteilung des vdää auch hier abdrucken.
Mit der Covid19-Pandemie hat sich das Verhältnis von Gesundheit und Politik in der öffentlichen Debatte drastisch verändert. Unsere Slogans „Krankheit ist ohne Politik nicht heilbar“ bzw. „Gesundheit braucht Politik“ sind aktuell mutmaßlich Allgemeingut. Dies führt dazu, dass Menschen in Gesundheitsberufen besonderes Gehör bekommen. Die Stimmen der Pflegekräfte zu den Zuständen im Gesundheitswesen haben plötzlich Gewicht, die Stimmen von Ärzt*innen auch und oft noch mehr. Leider bekommen im Moment Kolleg*innen verstärkt Aufmerksamkeit, die die krisenhafte Situation ausnutzen; sie treten öffentlich z.B. als „die wahren Aufklärer“ auf, die den verunsicherten Laien scheinbar erklären, wie die wirklichen Zusammenhänge angeblich sind. Dabei drängen sich auch Ärzt*innen in die öffentliche Debatte, die schon vor der Pandemie in der verschwörungsideologischen, parawissenschaftlichen oder auch rechten Szene aktiv waren.
Zu Anfang der Pandemie schien es uns im vdää eher sinnvoll, solchen Anti-Aufklärer*innen nicht noch zusätzlich zu youtube und facebook Aufmerksamkeit zu schenken. Das ändert sich gerade, denn so genannte „Hygiene-Demos“, Bewegungen wie „Widerstand 2020“ und ähnliche werden auch morgen wieder auf der Straße sein und in den Medien immer stärker beachtet. Ärzt*innen spielen dank ihres Vertrauensstatus in der Bevölkerung dabei eine zentrale Rolle.
Das wollen wir nicht unwidersprochen lassen. Wir demokratischen Ärztinnen und Ärzte wollen uns der Verantwortung stellen, die sich daraus ergibt und bei all der Unsicherheit und Komplexität an Informationen und Daten unsere Stimme für die Rationalität erheben:
Ja, wir alle leben in Zeiten der Unsicherheit und wir haben nicht alle Informationen, die wir bräuchten, um ganz sicher zu urteilen. Im Übrigen gilt dies auch für „normale“ Zeiten. Es scheint trivial, aber Unsicherheiten sind Teil des Lebens und auch der medizinischen Wissenschaft und Patient*innenversorgung. Um diese unvermeidliche Unsicherheit nicht ertragen zu müssen, bietet sich die Flucht in Glaubensgebäude wie Verschwörungsmythen an. Aber auch wenn sich manche ihrer Ideologen als kritische Geister stilisieren, sind ihre „Alternativen“ zum scheinbaren Konsens genauso bequem, wie das unkritische Hinnehmen des Bestehenden. Dazu sagen wir: Nein, gerade in der Krise muss die Grundlage unseres ärztlichen Handelns weiterhin eine kritische Rationalität sein. Zum Wohl der Bevölkerung und jedes Einzelnen nutzen wir wissenschaftliche, medizinische Forschung, nicht ohne ihre Einbettung in die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu betrachten. Das heißt, immer einen besonderen Blick auf ökonomische und politische Machtstrukturen zu haben, die sowohl die Gesundheitslage der Bevölkerung als auch die Medizin prägen. Kritisch zu sein, heißt eben nicht, sich die Welt so zusammen zu spinnen, wie es uns am besten passt.
Wir behandeln aktuell zusammen mit den Kolleg*innen aus der Pflege und den anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen Covid-19 Patient*innen. Wir sehen und können in der wachsenden wissenschaftlichen Literatur lesen, dass dieses Virus gefährlich ist und weltweit in einigen Ländern zu Übersterblichkeit geführt hat, die empirisch belegbar ist. In Deutschland ist sie bisher nur nicht so stark eingetreten, weil frühzeitig Maßnahmen ergriffen wurden, die jetzt bei diesen Demos kritisiert werden.
Ja, die Maßnahmen, die von der Politik getroffen wurden, schränken zum Teil unsere Grund-rechte ein und sie sind nicht immer und überall logisch konsistent. Aber wir sagen: Nein, das hat nichts mit Diktatur und Machtergreifung, nichts mit einem geheimen Plan von „Machteliten“ oder ähnlichem zu tun, sondern mit durch Wissenschaft begründeten Empfehlungen und Verhaltensmaßregeln zum Schutz der Bevölkerung, also uns allen – unter Bedingung von Unsicherheit. Dabei gehen uns manche Regelungen z.B. zum Schutz von Menschen in Pflegeheimen, von Menschen in Massenunterkünften für Geflüchtete (die schon vor der Pandemie eine Gesundheitsgefahr waren und aufgelöst gehören) und von Menschen ohne Obdach nicht weit genug; andere Maßnahmen erscheinen uns auf dem Stand der jetzigen Kenntnisse übertrieben. Gerade die sozioökonomischen Folgen der Maßnahmen und ihre möglichen Auswirkungen auf gesundheitliche Ungleichheiten verdienen kritische Aufmerksamkeit. An einer solchen rationalen gesellschaftlichen Debatte beteiligen wir uns mit unserem Fachwissen gern.
Ja, auch wir kritisieren Gesundheitsminister Jens Spahn, wenn er die Situation der Krise auszunutzen scheint, um seinen digitalen und anderen Phantasien ohne Rücksicht auf Datenschutz und demokratische Verfahrensregeln zum Durchbruch zu verhelfen. Aber wir sagen Nein zur Kritik an der behaupteten „Impflicht“, auch deshalb, weil es aktuell kein Gesetz und keinen Entwurf eines Gesetzes gibt, das bezogen auf Covid19 eine solche fordert. Weil wir die Errungenschaft des Impfens für die Verhinderung von Tod und Leid weltweit wertschätzen, werden wir uns im vdää dafür einsetzen, dass ein Impfstoff gegen Covid19, wenn es ihn einmal gibt, weltweit sachgerecht produziert und verteilt wird und nicht entlang der ökonomischen Potenzen von Gesellschaften und Staaten.
Und ja, auch wir kritisieren die Bill und Melinda Gates Foundation (BMGF) in der WHO. Dazu brauchen wir aber nicht erst die Covid19 Pandemie. Das machen wir und viele andere schon lange und mit richtigen Argumenten (2). Denn zur Lösung der globalen Ungleichheit setzt die Gates Stiftung auf Wohltätigkeit, Technologie und Markt. Dabei verstärken diese oft Abhängigkeitsverhältnisse zwischen reichen und armen Staaten oder werden dazu benutzt, ungerechte, undemokratische oder repressive Strukturen zu erhalten. Die Gates Stiftung kann die sozialen Bedürfnisse und Rechte von Menschen nur als Konsument*innenwünsche denken und versucht entsprechende Anpassungen an die Märkte vorzunehmen. Profitinteressen aber sind unvereinbar mit den grundlegenden, nicht marktförmigen Bedürfnissen von Menschen, die auf kooperative Lösungen der Ressourcenteilung und gemeinschaftliches Eigentum von globalen öffentlichen Gütern angewiesen sind. Wir sagen dennoch: Nein, wir halten Gates nicht für den allmächtigen Strippenzieher, und wir halten die aktuelle Situation nicht für eine Verschwörung zum Zwecke der totalen Unterdrückung, sondern für normale und zu kritisierende Entwicklungen im Verhältnis von kapitalistischer Ökonomie und Politik.
Und ja, auch wir kritisieren Demokratiedefizite und politische Alleingänge von Regierungen. Aber unsere Lösung heißt mehr Demokratie und nicht weniger. Mehr Aufklärung und Rationalität und nicht Verschwörungsglaube und einfachste Antworten auf komplexe Probleme. Wir stellen uns lieber der schwierigen Aufgabe kritischer Rationalität, als unkritisch das Bestehende hinzunehmen oder die Flucht ins Irrationale anzutreten.
Thomas Kunkel und Felix Ahls für den Vorstand des vdää
(1) „Ärzte für Aufklärung“ – https://www.xn--rzte-fr-aufklrung-pqbn68b.de/
(2) Z.B.: https://www.medico.de/bill-gates-ist-ruecksichtslos-14782/
Die Pressemitteilung ist auch der Webseite des vdää zu finden.