Dieser anonyme Erfahrungsbericht einer Gynäkologin erreichte uns kürzlich. Wir möchten ihn hier mit euch teilen. Er illustriert anschaulich, welchen Verbesserungsbedarf es in der gynäkologischen Weiterbildung derzeit in Deutschland gibt. Die Einwilligung zur Veröffentlichung durch die Gynäkologin ist selbstverständlich erfolgt.
Liebe Doctors for Choice Germany,
ich habe an euren Online-Fortbildungen zum Thema medikamentöser Schwangerschaftsabbruch teilgenommen und war sehr angetan von eurer Arbeit. Über euren Newsletter habe ich von dem geplanten „Konzept zur Fortentwicklung der Qualifizierung von Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen“ des BMG und der BÄK erfahren und möchte mich dazu gerne einmal äußern. Ich habe selbst gerade erst meine Facharztweiterbildung zur Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe absolviert. Ich bin also noch ganz frisch drin im „ausgebildet werden“ und möchte von meinen Erfahrungen berichten, die ich während meiner Ausbildung zur Fachärztin in vier verschiedenen Krankenhäusern in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gesammelt habe.
Schwangerschaftsabbrüche – sowohl medikamentös als auch operativ – wurden in allen diesen Kliniken durchgeführt. Dies ist aber nicht die Regel, wie ich von vielen angehenden Gynäkolog*innen weiß.
„Dass die Thematik des Schwangerschaftsabbruchs in der MWBO ausdrücklich als Inhalt der Weiterbildung zur Fachärztin/zum Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe benannt wird“, mag sein. Ich sehe aber nicht gegeben, dass „während der ärztlichen Weiterbildung die erforderlichen Handlungskompetenzen zur Beratung bei Schwangerschaftskonflikten sowie zur Indikationsstellung zum Schwangerschaftsabbruch erworben werden“. In meinen Ausbildungsstätten wurden Abbrüche durchgeführt. Die genannten erforderlichen Handlungskompetenzen zur Beratung habe ich in meiner Klinikzeit allerdings nicht gelernt. Die Beratung der Frauen fand zumeist extern statt und wir fungierten als ausführende Abteilung. Natürlich wäre es aber wichtig, zu lernen, wie Frauen in Schwangerschaftskonfliktsituationen objektiv, wertungsfrei, ergebnisoffen, empathisch und kompetent zu beraten sind.
Im Papier des BMG / der BÄK heißt es weiterhin, „dass Einigkeit unter Expertinnen und Experten herrscht, dass Schwangerschaftsabbrüche in der aktuellen Weiterbildung der Fachärzte und Fachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ausreichend abgebildet sind und dass Änderungen in der MWBO der BÄK, die zuletzt 2018 aktualisiert worden ist, nicht notwendig sind.“ Dies würde ich verneinen, da nicht alle Ausbildungsstätten Schwangerschaftsabbrüche anbieten und da es im Logbuch keine explizite Auflistung der zu erlangenden Kenntnisse und Fähigkeiten zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches gibt. Es ist tatsächlich möglich, die Facharztanerkennung für Gynäkologie und Geburtshilfe zu erlangen, ohne theoretisches oder praktisches Wissen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen gewonnen zu haben. Niemand darf dazu verpflichtet werden, an Schwangerschaftsabbrüchen mitzuwirken. Aber zumindest die ausführliche theoretische Ausbildung sollte stattfinden, z.B. auch, um bei Fragen ein fundiertes Ärztin-Patientin-Gespräch führen zu können. Bezüglich der operativen Therapie halte ich es absolut für möglich und notwendig, dass im Rahmen der Facharztausbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe die korrekte, sichere und folgeschädenarme Durchführung von Vakuumaspiration – mindestens bei der operativen Therapie von Aborten – von jeder Assistenzärztin / jedem Assistenzarzt zu erlernen ist. Um eventuelle Ängste und Unsicherheiten zu nehmen, wäre es absolut notwendig, dass, wie im BMG-/BÄK-Papier festgehalten, das Thema Schwangerschaftsabbrüche eine gewichtigere Präsenz bei den Fortbildungen hat, bzw. überhaupt einmal thematisiert wird.
Dies könnte einerseits dazu beitragen, dass die Eingriffe standardisiert durchgeführt werden (das gleiche gilt für die Medikamentengabe). Anderseits macht es Schwangerschaftsabbrüche und deren Durchführung sichtbarer, holt sie hoffentlich aus der tabuisierten Dunkelzone heraus und lässt sie wie andere Therapieformen auch einfach einen anerkannten Teil unseres Fachgebietes sein. Im Rahmen von Fortbildungen könnte dann z.B. auch das Thema „Umgang mit schwierigen Situationen und Komplikationen bei Schwangerschaftsabbrüchen“ besprochen werden. Inhaltlich könnten dann z.B. auch Vorerkrankungen thematisiert werden, ebenso wie der Umgang mit Residuen nach Abbrüchen oder auch der Umgang mit intraoperativen Komplikationen.
In diesem Zusammenhang möchte ich von einem Fall berichten, in dem einer Frau (IIIG IIP) im Rahmen des operativen Schwangerschaftsabbruches die Gebärmutter via Bauchschnitt (Laparotomie) entfernt wurde, weil es dem Operateur nicht gelungen ist, die Schwangerschaft durch Vakuumaspiration und Abrasio zu beenden. Er sah in diesem Moment keine andere Möglichkeit, als die Schwangerschaft samt Uterus zu entfernen. Solche schwierigen Fälle könnten dann in Fortbildungen besprochen und patientinnenorientierte Lösungsvorschläge vermittelt werden.
Zu guter Letzt ist das Erstellen einheitlicher Leitlinien ein längst überfälliger und zwingend notwendiger Schritt, damit es klare Handlungsempfehlungen gibt. So habe ich in meiner Ausbildung erlebt, dass eben keine einheitlichen Standards angewandtwurden. Alle Schwangerschaftsabbrüche durchführenden Ärzte und Ärztinnen, die mich ausgebildet haben, taten dies für die betroffenen Frauen und nach ihrem Wissens- und Kenntnisstand. Aufgrund einer fehlenden Leitlinie sah das in der Praxis aber so aus, dass einige Kolleginnen und Kollegen nur mit Küretten abradierten, andere den Cavuminhalt mit der Vakuumkürette exhaustierten und die nächsten erst absaugten und dann nachkürettierten. In dem Zusammenhang sind mir auch immer wieder Frauen begegnet, die nach beispielsweise wiederholten operativen Schwangerschaftsabbrüchen via Abrasio nicht mehr schwanger werden konnten, weil vermutlich zu viel Schleimhaut abradiert wurde. Ich habe erlebt, dass entsprechend der Schwangerschaftswoche dilatiert wurde, habe aber auch erlebt, dass immer bis auf 10,5 / 11 mm dilatiert wurde, weil es eben als einzige Größe ein 11er-Saugrohr gab. Die dabei möglicherweise verursachten Schäden an der Zervix als Verschlussapparat für mögliche Wunsch-Folgeschwangerschaften wurden dabei vernachlässigt.
Auch die Durchführung des medikamentösen Abbruches erfolgt von Klinik zu Klinik unterschiedlich. So habe ich z.B. erlebt, dass zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches erst einmal eine Herzaktion des Embryos nachweisbar sein musste. Sicher werden das Warten, die wiederholte Vorstellung der betroffenen Frauen in der Klinik zur Sonografiekontrolle und das Wissen um die Herzaktion als belastend erlebt. Leitlinien, die sich am internationalen, evidenzbasierten Vorgehen orientieren wie etwa die 2000 erstellte Leitlinie der RCOG, müssen also her! Das schützt die Frauen und nimmt Kolleginnen und Kollegen die Angst davor, Abbrüche durchzuführen.
Ich möchte noch eine weitere Begebenheit beschreiben: In einem Krankenhaus, in dem ich gearbeitet habe, wurden nach dem Chefarztwechsel keine Abbrüche mehr durchgeführt, weil die Abteilungsleitung sich absolut dagegen ausgesprochen hat, Medikamente anzuwenden, die für Abbrüche keine Zulassung haben bzw. nicht von deutschen Händlern zu beziehen sind (Misoprostol und Dinoprostin). Dies führte dazu, dass medikamentöse Abbrüche nicht mehr durchgeführt wurden und auch keine operativen Abbrüche mehr erfolgten, weil weder Misprostol noch Dinoprostin zum Priming benutzt werden durften. Erschwert hat das Ganze das Fehlen einer Leitlinie. Die Empfehlung der DGGG von 2015 wurde nicht akzeptiert. 240 Frauen jährlich blieben unversorgt. Letztendlich wünsche ich für die um Rat und Hilfe suchenden Frauen und Mädchen kompetente und empathische Behandlerinnen und Behandler, die eine gute und fundierte Ausbildung erfahren haben. Um dies zu ermöglichen halte ich eine flächendeckende Versorgung, eine einheitliche, ausführliche und standardisierte Ausbildung und als Grundlage all dessen das Erstellen einer Leitlinie für absolut notwendig.