Der Zugang zu Cytotec® [Wirkstoff: Misoprostol 200μg] ist seit kurzem erschwert worden, wie wir bereits berichteten. Gemeinsam mit 15 weiteren Organisationen haben wir uns mit folgendem Brief an das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesinstitut für Ärzneimittel und Medizinprodukte gewandt und gefordert, die Entscheidung für den erschwerten Zugang zu Cytotec® zurückzunehmen.
Der Brief kann hier direkt nachgelesen oder hier als PDF heruntergeladen werden.
Sehr geehrter Herr Minister Spahn,
Sehr geehrter Prof. Broich,
Sehr geehrter Prof. Kröss,
die unterzeichnenden Organisationen setzen sich für die Gesundheitsversorgung von Frauen und Menschen mit Uterus ein.
Mit großer Sorge nehmen wir die Information zur Kenntnis, dass Cytotec® nur noch unter erschwerten Bedingungen nach Deutschland eingeführt werden kann. Cytotec® (Misoprostol) hat sich in den letzten Jahrzehnten als Standardmedikament in der Gynäkologie und Geburtshilfe etabliert. Seit es in Deutschland vom Markt genommen wurde, ist es nur über den Import erhältlich.
Cytotec® kam im letzten Jahr in die Schlagzeilen, indem es für Komplikationen bei Geburtseinleitungen verantwortlich gemacht wurde. Die größte deutsche Organisation der Gynäkolog*innen und Geburtshelfer*innen (DGGG) hat bereits im Februar 2020 dazu eine Stellungnahme verfasst, die Ihnen sicher bekannt sein dürfte.
Die WHO hat den in Cytotec® enthaltenen Wirkstoff Misoprostol schon vor zehn Jahren auf ihre “Essentielle Liste” gesetzt. Diese Liste beinhaltet die effektivsten und sichersten Medikamente, um die wichtigsten Bedürfnisse für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zu bedienen. So sollte es im Interesse einer modernen Versorgung in der Gynäkologie und Geburtshilfe sein, Misoprostol ohne Einschränkungen in Deutschland zugänglich zu machen. Es ist für Deutschland nicht tragbar, den Zugang zu einem essentiellen Medikament deutlich zu erschweren.
Misoprostol wird weltweit in der in Cytotec® verwendeten Dosierung (200 µg) für viele Indikationen in der Gynäkologie und Geburtshilfe eingesetzt und deshalb dringend benötigt:
- Vorbereitung des Muttermundes bei gestörter Frühschwangerschaft oder ungewollter Schwangerschaft vor einem operativen Eingriff. Dadurch werden Verletzungen des Muttermundes vermindert und Komplikationen in Folgeschwangerschaften wie Frühgeburten verhindert.
- Das Gleiche gilt für Schwangere mit fortgeschrittener Schwangerschaft bei intrauterinem Fruchttod.
- Viele junge Frauen, die noch nicht geboren haben, entscheiden sich heute für eine Langzeitverhütung mit der “Spirale”. Vor dem Einlegen wird Misoprostol verwendet, um den Eingriff unkomplizierter und weniger schmerzhaft zu machen.
- Bei älteren Frauen ist der Muttermund meist sehr rigide, da die körpereigenen Hormone fehlen. Misoprostol hilft auch hier, bei einem nötigen operativen Eingriff in der Gebärmutter, die Komplikationen zu minimieren.
- Bei einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch oder der medikamentösen Behandlung einer verhaltenen Fehlgeburt werden zwei Medikamente eingesetzt: Mifepriston und Misoprostol (in einer vielfachen der in Angusta® verwendeten Dosis). Für die empfohlene Dosierung gibt es internationale Leitlinien. In Deutschland werden pro Jahr ca. 30.000 Schwangerschaftsabbrüche mit dieser schonenden Methode durchgeführt. Frauen können jedoch nur dann eine nicht-operative Methode wählen, wenn der Zugang zu Misoprostol in entsprechender Dosierung zur Verfügung steht.
- Außerdem wird Misoprostol bei pospartaler oder postoperativer Blutung eingesetzt.
Als Alternative zu Cytotec® stehen uns nur zwei Misoprostol-Präparate zur Verfügung:
- MisoOne®: MisoOne® gibt es nur in einer Dosierung von 400 μg. Vor kleinen operativen Eingriffen wird eine Dosierung von 200 μg benötigt. Bei der Anwendung von MisoOne® müsste also die im Zusammenhang mit Cytotec® zu Recht kritisierte Teilung von Tabletten erfolgen. Zudem ist der bürokratische Aufwand bei der Anwendung von MisoOne® sehr hoch, was dazu führen kann, dass weniger Praxen den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch anbieten.
- Angusta®: Das in anderen Ländern für die Geburtseinleitung zugelassene Präparat ist mit 25 μg für die meisten oben genannten Indikationen deutlich zu niedrig dosiert. Für die in der AWMF-Leitlinie empfohlene Therapie bei gestörter Frühschwangerschaft (800 μg) würden 32 Tabletten benötigt.
Beide Präparate sind also keine ausreichende Alternative zu Cytotec® in den oben genannten Indikationen. Gleichzeitig wird der Hersteller von Cytotec® keinen Anreiz haben, eine teure formale Zulassung zu beantragen, denn es wird bereits in der jetzigen Darreichung weltweit benutzt. Einerseits als Magenmittel und im Off-Label-Use in der Gynäkologie und Geburtshilfe.
Eine Erschwerung des Zugangs zu Cytotec® ist die falsche Konsequenz. In der Folge wird die medizinische Betreuung von Frauen schlechter! Die Betreuung von Frauen in Notsituationen (insbesondere solchen, die tabuisiert sind) ist gefährdet!
Wir fordern Sie daher auf, die Versorgung der Frauen in Deutschland mit Misoprostol in den jeweils benötigten Dosierungen zu gewährleisten und den erschwerten Zugang zu Cytotec® zurückzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Arbeitskreis Frauengesundheit e. V. (AKF)
Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (AGG)
Ärztinnen pro choice Berlin e. V.
Berufsverband der Frauenärzte e. V. (BVF)
Deutsche Gesellschaft für Frauengesundheit e.V.
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie e. V. (DGGG)
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe e. V. (DGPFG)
Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin e. V. (DGPGM)
Deutscher Hebammenverband e.V. (DHV)
Doctors for Choice Germany e.V.
Familienplanungszentrum Balance e. V. (FPZ Balance)
Feministische Medizinerinnen*
Fraktion Gesundheit (FG) in der Ärztekammer Berlin
Pro familia Bundesverband, Frankfurt am Main
Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää)
Bildrechte: © picture alliance / MAXPPP | Alain DELPEY