Redebeitrag zur Kundgebung „Leben-Lieben-Selbstbestimmt“

Christiane von Rauch hat bei der Kundgebung „Leben-Lieben-Selbstbestimmt“ am 19.09.2020 in Berlin im Namen von Doctors for Choice Germany einen Beitrag zu den verschärften Versorgungsprobleme während der Corona-Pandemie gehalten. Ihren Redebeitrag kann hier nachgelesen werden:


Liebe Frauen, Liebe Mitmenschen, Liebe Aktivist*innen,

Ja, wir wollen Leben – Lieben – Selbstbestimmt!
Schwangerschaft, Kinderwunsch und eben auch ungewollte Schwangerschaften gehören hier untrennbar dazu.

Wir haben in Deutschland, nach Malta und Polen, das restriktivste Abtreibungsgesetz in ganz Europa. Strafgesetzbuch, Beratungspflicht und 3 – tägige Wartezeit vor dem Abbruch bestimmen den Ablauf. Das gesellschaftliche Tabu ist ungebrochen. Ärzt*innen und ungewollt Schwangere werden stigmatisiert, diskriminiert und kriminalisiert.

Wir konstatieren einen zunehmenden Versorgungsnotstand. Bundesweit, insbesondere in Rheinland-Pfalz und Niederbayern, in den ländlichen Regionen, aber auch in großen Städten, gibt es eklatante Versorgungslücken um eine Abtreibung nach der Beratungsregelung durchzuführen. Menschen mit medizinischer Indikation haben Schwierigkeiten eine Klinik zu finden, die Abbrüche nach der 14. Woche durchführt. Eine Wahlmöglichkeit für die Methode ist vielerorts nicht gegeben.Viele Ärzt*innen führen Abbrüche nur bis zur 10. Woche, oder nur mit einer bestimmten Abbruchmethode durch.

Durch die Corona – Pandemie ist der Notstand deutlich zu Tage getreten.
Die Anfahrtswege für Frauen aus ländlichen oder schlecht versorgten Regionen waren wegen der Ausgangsbeschränkungen nicht zu bewältigen, Carearbeit, KiTa- und Schulschließungen, Homeoffice und Quarantäne machten es vielen unmöglich, zur Beratung oder in eine Arztpraxis zu kommen. Pandemiebedingte Praxisschließungen waren an der Tagesordnung, Kliniken verweigerten den Abbruch, weil er nicht als notwendige Leistung angesehen wurde; Beratungsstellen hatten geschlossen, Krankenkassen verweigerten die Kostenübernahme online zu regeln und so weiter. Durch die Grenzschließungen war der Weg nach Holland oder England für Spätabbrüche versperrt.

Es ist also enorm schwierig, die fünf Termine -Schwangerschaftsfeststellung, Beratung, Vorgespräch, Abbruch und Klärung der Kostenübernahme – zeitnah zu bekommen. Die Beratungsstellen dürfen jetzt zwar online Beratungen durchführen, Kostenübernahmeanträge bei den Kassen sind aber nur vereinzelt online möglich.

Ungewollt Schwangere verlieren so unnötig Zeit und Geld, die Eingriffe werden später als nötig oder – im schlimmsten Fall – nicht mehr durchgeführt. Der Zeitrahmen für einen medikamentösen Abbruch ist schnell überschritten und den Schwangeren bleibt nur der operative Eingriff.

All das führt zu einem unnötigen, höheren gesundheitlichen Risiko.

Wir wissen nichts über die Dunkelziffer von selbst ausgeführten oder versuchten unsicheren Abtreibungen, gehen aber davon aus, dass sie zugenommen haben. Es gibt Berichte von Suizidversuchen. Frauen telefonieren sich durch die Republik auf der Suche nach einer Praxis, die noch am letzten Tag der Frist einen Abbruch macht. Besonders betroffen, wie immer, Frauen, die in prekären Lebensverhältnissen, Gewaltbeziehungen, oder auf dem Land leben oder keinen online- Zugang haben, Geflüchtete, Menschen ohne Papiere und Trans*menschen.

Ob Pandemie oder nicht – der Versorgungsnotstand ist da und verschärft sich weiter. Immer weniger Ärzt*innen sind bereit Abbrüche durchzuführen und die Stigmatisierung und Diskriminierung auf sich zu nehmen.

Wir von Doctors for Choice sagen:
Der Schwangerschaftsabbruch gehört zur medizinischen Grundversorgung, Wir fordern die flächendeckende, wohnortnahe Sicherstellung von Abbruchmöglichkeiten. Dazu kostenlose Verhütungsmittel für alle, unabhängig vom sozialen Status und der sexuellen Orientierung. Wir erwarten eine fachgerechte Ausbildung von MedizinerInnen zum Schwangerschaftsabbruch und Nationale Leitlinien, die die Empfehlungen der WHO umsetzen. Die Regierung muß die UN – Frauenrechtskonvention CEDAW endlich umsetzen!

Die Streichung der Paragrafen 218 und 219a aus dem Strafgesetzbuch ist überfällig, die Kriminalisierung von Ärzt*innen und ungewollt Schwangeren muß ein Ende haben!

Wir werden das Tabu brechen !
Und keinen Fußbreit zurück auf dem Weg zu sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung.

Vielen Dank!

Redebeitrag zur Kundgebung „Leben-Lieben-Selbstbestimmt“
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