Offener Brief an Bundesregierung: Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland

Der gesamte Offene Brief ist unter folgendem Link zu finden.


Sehr geehrte Frau Bundesministerin Lisa Paus, 
Sehr geehrter Herr Bundesminister Karl Lauterbach,  
Sehr geehrter Herr Bundesminister Marco Buschmann,  
Sehr geehrte Bundesregierung,

Heute, am 15.04.2024, präsentiert die von Ihnen einberufene Expert*innenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ihre finalen Ergebnisse. Der Abschlussbericht bestätigt, was zahlreiche Expert*innen, Aktivist*innen und betroffene Frauen schon seit Jahren fordern: Schwangerschaftsabbrüche müssen in Deutschland endlich entkriminalisiert werden. 

Die Expert*innen aus Medizin, Recht und Ethik empfehlen einstimmig, Schwangerschaftsabbrüche in den frühen Phasen der Schwangerschaft rechtmäßig und straflos zu stellen und eine Durchführung zeitnah und barrierefrei für alle zu ermöglichen. Die aktuelle Rechtswidrigkeit nach §218 StGB hält einer verfassungs-, europa-, und völkerrechtlichen Prüfung nicht stand und gehört dringend abgeschafft.

Weiter schreiben die Expert*innen, dass auch in den mittleren Phasen der Schwangerschaft (bis zur 22. Schwangerschaftswoche) eine Entkriminalisierung möglich ist und der Gesetzgeber hier Gestaltungsspielraum hat. Diesen hat er ebenso in der Frage nach einer Beratungspflicht. Auch hier ist eine Abschaffung der Zwangsberatung und dreitägigen Wartefrist nach Einschätzung der Expert*innen möglich und kann vom Gesetzgeber angestrebt werden. Wir bitten Sie, die Initiative zu ergreifen. Der Verzicht auf Pflichtberatung und Wartefrist kann in vielen Fällen darüber entscheiden, mit welcher Methode der Schwangerschaftsabbruch noch durchgeführt werden kann – medikamentös oder operativ. 

Dass eine Überarbeitung der aktuellen Gesetzeslage zu Schwangerschaftsabbrüchen dringend notwendig ist, zeigen auch die in der letzten Woche präsentierten Ergebnisse der sogenannten ELSA-Studie, die bisher umfassendste wissenschaftliche Analyse der Versorgungslage ungewollt schwangerer Menschen in Deutschland. Die Daten zeigen deutliche Versorgungslücken, insbesondere in den südlichen Bundesländern. Außerdem gaben 80 Prozent der befragten Frauen an, bei ihrem Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch mindestens eine Form der Barriere erlebt zu haben, entweder in der Kostenübernahme, der Praxisfindung und Erreichbarkeit dieser oder in der Informationsbeschaffung. Zwanzig Prozent fanden es schwer oder sehr schwer, überhaupt eine Praxis zu finden, die den Abbruch durchführt. 

Dass die prekäre Versorgungslage in direktem Zusammenhang mit der aktuellen Gesetzeslage steht, verdeutlichen auch die Ergebnisse der Ärzt*innenbefragung im Rahmen der Studie: 75 Prozent der befragten Ärzt*innen gaben an, dass eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs ihrer Einschätzung nach zur Verbesserung der Versorgung beitragen würde. 

Die Ergebnisse der ELSA Studie zeigen es ganz deutlich: In Deutschland gibt es ein Problem in der Versorgung ungewollt schwangerer Menschen. Und die Ergebnisse der Expert*innenkommission zeigen es ebenso deutlich: diesem Problem kann und muss durch eine gesetzliche Neuregelung begegnet werden. Dabei muss das Vertrauen in schwangere Menschen und in die zahlreichen Berater*innen und Ärzt*innen, die ungewollt schwangere Menschen in dieser Ausnahmesituation professionell begleiten und unterstützen, im Vordergrund stehen. Es darf keine gesetzliche Bevormundung dieser höchstpersönlichen Entscheidung mehr geben

Wir bitten Sie nun: Hören Sie auf Ihre eigens ernannten Expert*innen und setzen Sie die Vorschläge um. Seien Sie mutig und nehmen Sie die Handlungsspielräume auf, die Ihnen die Empfehlungen geben. Sie haben die Möglichkeit, etwas Historisches zu schaffen und einen nun mehr als 150 Jahre alten Paragrafen abzuschaffen. Repräsentative Umfragen zeigen: Die Mehrheit der Bevölkerung ist für eine Legalisierung*. Sie können und müssen eine gesetzliche Neuregelung finden, die den Lebensrealitäten von ungewollt schwangeren Menschen in Deutschland gerecht wird und eine gute Gesundheitsversorgung für alle ermöglicht. 

Lassen Sie ungewollt schwangere Menschen nicht länger im Stich und schaffen Sie noch in dieser Legislatur eine gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs! 

Wir fordern die ersatzlose Streichung von Paragraf 218 StGB und eine außerstrafrechtliche Regelung und damit die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, sowie die Abschaffung der Zwangsberatung und dreitägigen Wartefrist.

Wir appellieren an Sie, die Umsetzung so schnell wie möglich voranzutreiben. Angesichts des nationalen und globalen Rechtsrucks fürchten wir, dass eine Verzögerung der Legalisierung bedeuten könnte, dass wir in den kommenden Jahren noch intensiver um unsere Rechte bangen und kämpfen müssen. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und den Rechtsruck erfordert auch die Verteidigung und Unterstützung der Frauenrechte, da diese zu den ersten Opfern rechter und rechtsextremer Politik gehören.


Initiatorinnen und Erstunterzeichnerinnen:

  • Annika Kreitlow, Ärztin in der Gynäkologie und Sprecherin des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung
  • Kristina Lunz, Autorin und Mitgeschäftsführerin des Centre for Feminist Foreign Policy
  • Dr. Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland
  • Monika Börding und Stephanie Schlitt, Vorstand des pro familia Bundesverbands
  • Diana zur Löwen, Unternehmerin und Content Creatorin
  • Dr. med. Alicia Baier, Ärztin in der Gynäkologie und Mitgründerin von Doctors for Choice Germany
  • Janina Hell und Felicitas Karrer, Gründerinnen von FRAUEN100
  • Maria Astor, Content Creatorin
  • Natalia Wörner, Schauspielerin
  • Katja Riemann, Schauspielerin und Autorin
Offener Brief an Bundesregierung: Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland
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