Stellungnahme zum Gesetzesentwurfs des Bundesjustiziministeriums zur Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§219a StGB)
Das Bundesjustizministerium hat am 17.01.2022 einen Gesetzesentwurf zur Streichung des §219a StGB veröffentlicht. Doctors for Choice Germany e.V. begrüßt das Vorhaben. Bisher dürfen Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche selbst durchführen, auf ihren Webseiten nicht ausreichend darüber informieren, während allen anderen Personen dieses Recht eingeräumt wird. Das führt zu einem Informationsungleichgewicht im Netz und zu Verunsicherungen bei ungewollt Schwangeren. Der §219a StGB verhindert somit keine Werbung, sondern ärztliche Aufklärung und sachliche Information. Er verhindert, dass ungewollt Schwangere einfach und niederschwellig wichtige Informationen erhalten sowie Ansprechpersonen finden können.
Die Aufhebung des §219a StGB allein wird jedoch nicht die Versorgungslage für ungewollt Schwangere in Deutschland verbessern. Wir möchten deshalb auf folgende weiter bestehende Probleme hinweisen:
Die Paragraphen §218 und §219 StGB bleiben erhalten. Damit bleibt der Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert, die verpflichtende Beratung und Wartezeit erhalten. Eine Kriminalisierung selbstbestimmter Schwangerschaftsabbrüche widerspricht jedoch vielfacher wissenschaftlicher Evidenz und verstößt gegen Menschenrechtskonventionen.
Die Kriminalisierung hält die Tabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs in der Gesellschaft und Medizin aufrecht, verzögert die Aufnahme des Themas in die professionelle medizinische Aus- und Weiterbildung und Forschung, und verhindert eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Es schreckt Ärzt*innen und medizinisches Personal ab, sich weiter mit diesem Thema zu befassen und belastet ungewollt Schwangere.
Die im Referentenentwurf behauptete Kausalität zwischen Beratungspflicht und dem Rückgang der Abbruchquote sehen wir als schlichtweg unbewiesen. Die bisher international als wirksam gezeigten Maßnahmen sind kostenloser Zugang zur Verhütung, eine umfassende Sexualerziehung (CSE, comprehensive sexuality education) und eine liberale Gesetzgebung. Das Angebot für eine freiwillige, qualifizierte, neutrale und kostenlose Schwangerenkonfliktberatung muss flächendeckend und niederschwellig angeboten werden, wozu auch online Angebote unverzichtbar sind. Eine Pflichtberatung stellt jedoch nicht nur einen gravierenden Eingriff in der Autonomie der Schwangeren dar, sondern ist auch, wie die Wartefrist, eine zusätzliche Hürde zum Schwangerschaftsabbruch.
Der Schwangerschaftsabbruch darf kein Strafbestand sein, sondern sollte außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden und muss eine öffentliche Gesundheitsleistung werden, wie beispielsweise in Frankreich, Kanada und Neuseeland.
Die Versorgungssituation hat sich in den letzten 20 Jahren zunehmend verschlechtert, denn seitdem hat sich die Anzahl der Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, fast halbiert. Auch wenn die Länder ein ausreichendes Versorgungsangebot laut Schwangerschaftskonfliktgesetz sicherstellen müssen, werden es geschätzt alle drei Monate fünf Einrichtungen weniger. In manchen Regionen müssen ungewollt Schwangere bis zur nächsten Praxis mehrere hunderte Kilometer zurücklegen. Noch schwieriger haben es diejenigen, die einen Abbruch nach medizinischer Indikation nach der 14.Schwangerschaftswoche durchführen möchten. Jede dritte Schwangere muss dafür in die Niederlande fahren. Zudem ist die Wahlmöglichkeit für die Methode vielerorts nicht gegeben.
Wir benötigen eine verlässliche Erhebung der Versorgungslücken, auch im Bezug auf die unzureichende Wahlmöglichkeiten der Methoden, und konkrete politische Maßnahmen, welche diesem Versorgungsnotstand gezielt entgegensteuern.
Ärzt*innen müssen auch nach der Streichung des §219a StGB mit Diffamierungen und Anfeindungen durch Abtreibungsgegner*innen rechnen. Dies wird weiterhin Ärzt*innen davon abhalten, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, die Stigmatisierung und Bedrohungen befürchten. Andere Ärzt*innen, die zwar Abbrüche durchführen, werden sich möglicherweise nicht öffentlich listen lassen, weil sie vermeiden möchten, dass sogenannte “Mahnwachen” vor ihren Praxen organisiert werden. So könnte die Recherche nach wohnortnahen Ansprechpersonen für ungewollt Schwangere weiter erschwert bleiben.
Abtreibungsgegner*innen können weiterhin auf ihren Webseiten bewusst Falschinformationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch veröffentlichen, um ungewollt Schwangere von einem Schwangerschaftsabbruch abzuschrecken. Dies wird auch im Gesetzentwurf kritisiert, doch ein Lösungsvorschlag bleibt aus. Im Nachbarland Frankreich hat man deshalb entschieden, dass das Behindern von Schwangerschaftsabbrüchen (auch durch das Verbreiten von bewussten Falschinformationen auf Webseiten) strafbar ist. Eine solche Regelung wäre auch in Deutschland begrüßenswert.
Das gesellschaftliche Tabu ist ungebrochen. Studien zeigen, dass der verurteilende Umgang im Bekanntenkreis, die Stigmatisierung und die Notwendigkeit zur Geheimhaltung für ungewollt Schwangere psychisch belastend sind. Die Debatte zum Thema Schwangerschaftsabbruch, sowie zur Sexualkunde und Verhütung im allgemeinen, sollte daher sachlich, gesundheitsorientiert sowie frei von Vorurteilen geführt werden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Frauenrechtskonvention der UN (CEDAW) fordern ihre Mitgliedstaaten auf, reproduktive Gesundheit und Rechte sicherzustellen. Dazu zählt auch, sachliche Informationen zum Schwangerschaftsabbruch nicht zu kriminalisieren, sondern Hilfesuchenden zugänglich zu machen. Der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. Juni 2021 zu der Lage im Hinblick auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit zufolge ist die Tatsache, dass es in einigen Mitgliedstaaten – inklusive Deutschland – nach wie vor sehr restriktive Gesetze gibt, die Abtreibungen außer unter genau festgelegten Umständen verbieten und Frauen somit zwingen, heimlich abzutreiben, in andere Länder zu reisen oder ihre Schwangerschaft gegen ihren Willen zu Ende zu führen, eine Verletzung der Menschenrechte und eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt. Diese. Position wird auch vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte geteilt. Deutschland hat es bisher versäumt, diese Forderungen umzusetzen.
Insofern ist die Abschaffung des §219a StGB längst überfällig.
Als nächsten Schritt fordern wir, dass die von uns aufgeführten Probleme von der in dem Koalitionsvertrag geplanten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin nicht nur geprüft, sondern auch gelöst werden.
Unsere Forderungen zur Überwindung bestehender Hürden und Zugangsbarrieren beim Schwangerschaftsabbruch sind in Gänze auf unserer Webseite zu finden unter https://doctorsforchoice.de/ueber/forderungen/ .
Diese Stellungnahme wurde am 14.02.2022 aktualisiert. Die Stellungnahme als PDF-Dokument ansehen.