Stellungnahme zum Antrag der Linksfraktion zu reproduktiver Gerechtigkeit

In dieser Woche wird im Bundestag der Antrag der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 19/26980 – Für das Leben – Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung sichern, reproduktive Gerechtigkeit ermöglichen) diskutiert, der auf die Missstände bezüglich der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung von Frauen und gebärfähigen Personen in Deutschland hinweist. Dieses Vorgehen unterstützen wir als Doctors for Choice Germany.

Doctors for Choice Germany e.V. ist ein deutschlandweites Netzwerk von Ärzt*innen, Medizinstudierenden, Menschen aus weiteren medizinischen Berufen sowie Jurist*innen, die einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität, Fortpflanzung und Familienplanung sowie Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft fordern. Wir arbeiten gesundheitsorientiert, evidenzbasiert und feministisch und lehnen jede Benachteiligung aufgrund von Sexualität und Geschlecht ab. Daher begrüßen wir es, wenn die Frage nach reproduktiver Gerechtigkeit im Bundestag debattiert wird.

Viel zu lange schon herrscht in Deutschland der Mythos, durch die „Kompromisslösung“ von 1993 (Abtreibung innerhalb der 12-Wochen-Fristen mit vorheriger Zwangsberatung oder aufgrund einer Indikation) seien die Rechte von schwangeren Personen ausreichend geregelt worden. Statt für mehr Klarheit und Rechtssicherheit zu sorgen, werden seit der Statuierung der „Austragungspflicht“ durch das Bundesverfassungsgericht Schwangere immer noch dazu gedrängt, Kinder zu gebären. Das steht im Widerspruch zum allgemeinen anerkannten Verständnis von Selbstbestimmung und gewährt keine reproduktive Autonomie. Die Abtreibung wird außerdem als generelles Unrecht stigmatisiert und im Strafgesetzbuch unter dem Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“ normiert. Dadurch werden Frauen und Schwangere flächendeckend zu Täter*innen erklärt.

Wir verlangen daher, dass der Schwangerschaftsabbruch kein Strafbestand sein darf, sondern er muss eine öffentliche Gesundheitsleistung werden. Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch sind außerhalb des Strafgesetzes möglich, beispielsweise in Sozialgesetzbüchern oder innerhalb der für den Gesundheitsbereich geltenden Rechtsordnungen. Das deckt sich mit den Forderungen des oben erwähnten Antrags. Die Rechtssicherheit, die mit einer solchen Neuregelung eintreten würde, würde den Zugang zu gesundheitsrelevanten Informationen stärken und zwangsläufig positive Effekte auf die Versorgungslage in Deutschland haben.

Wir sind uns auch bewusst, dass reproduktive Gerechtigkeit mehr umfasst, als den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch. Ein umfassendes Konzept von reproduktiver Gerechtigkeit garantiert die Autonomie, eigenständig zu entscheiden, wie viele Kinder eine Person wann und wo bekommen möchte. Der Staat muss eine gesundheitliche Absicherung gewährleisten und Entscheidungen in Bezug auf reproduktive Fragen müssen frei von Zwang und Gewalt getroffen werden können. Deswegen begrüßen wir, dass im Antrag der Fraktion DIE LINKE auch andere Themenkomplexe wie die Frage nach finanziellen Möglichkeiten, andere Elternschaftskonzepte und Rechte von Menschen mit Behinderung thematisiert werden.

Nachtrag 24.06.2021: der Antrag der Linksfraktion wurde auf Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundestag abgelehnt.

Stellungnahme zum Antrag der Linksfraktion zu reproduktiver Gerechtigkeit
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